Fieber
Aber in der Küche lag bald wieder alles an seinem gewohnten Platz.
»Noch kein Anzeichen für eine Reaktion bei meinen Lymphozyten«, sagte Charles, als er in die Küche kam, um sich noch etwas Kaffee zu holen. »Du wirst mir heute nachmittag noch eine Spritze mit Michelles Antigen geben müssen.«
»Natürlich«, sagte Cathryn mit fester Stimme, die Charles’ und ihrer eigenen Zuversicht Auftrieb geben sollte. Dabei war sie sich überhaupt nicht sicher, ob sie es noch einmal tun konnte. Schon der Gedanke verursachte bei ihr eine Gänsehaut.
»Ich muß mir etwas einfallen lassen, um das Haus noch sicherer zu machen«, sagte Charles. »Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn die Kerle letzte Nacht betrunken genug gewesen wären, um die Hintertür zu stürmen.«
»Randalierer sind eine Sache«, erwiderte Cathryn. »Aber was willst du machen, wenn die Polizei kommt, um dich festzunehmen?«
Charles sah Cathryn nachdenklich an.
»Bevor ich das, was ich für Michelle tun kann, nicht zu Ende gebracht habe, werde ich niemanden ins Haus lassen.«
»Es kann doch nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Polizei auftaucht«, sagte Cathryn. »Und es wird bestimmt nicht so leicht sein, sie daran zu hindern, hier hereinzukommen. Schon bei dem geringsten Widerstand brichst du die Gesetze. Und vielleicht fühlen sie sich dann berechtigt, Gewalt anzuwenden.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Charles. »Sie haben viel mehr zu verlieren als zu gewinnen.«
»Michelle könnte ein triftiger Grund für sie sein. Sie könnten sich verpflichtet fühlen, dafür zu sorgen, daß die Chemotherapie bei ihr fortgesetzt werden kann.«
Charles nickte langsam. »Du könntest sogar recht haben. Aber selbst dann gibt es für uns keinen anderen Ausweg.«
»Ich glaube doch«, sagte Cathryn. »Vielleicht kann ich die Polizei dazu bringen, nicht mehr nach dir zu suchen. Ich habe den Kriminalbeamten kennengelernt, der für den Fall zuständig ist. Ich könnte zu ihm gehen und ihm sagen, daß ich kein Interesse an einer Klage habe. Wenn es keinen Kläger gibt, müßten sie die Suche nach dir einstellen.«
Charles trank einen großen Schluck von seinem Kaffee. Was Cathryn sagte, klang vernünftig. Er wußte, daß die Polizei ihn aus dem Haus herausbekommen konnte, wenn sie es mit Gewalt versuchte. Tränengas war einer der Gründe gewesen, weshalb er die Fenster so sorgfältig vernagelt hatte. Aber ihm war klar, daß die Polizei auch noch andere Mittel und Möglichkeiten besaß, an die er gar nicht erst denken wollte. Cathryn hatte recht. Die Polizei konnte ihm wirklich gefährlich werden.
»Also schön«, sagte Charles, »aber du mußt mit dem Transporter fahren, den ich gemietet habe. Er steht in der Garage. Ich glaube nicht, daß dein Kombi noch eine Windschutzscheibe hat.«
Sie zogen ihre Mäntel an und gingen durch den unberührten Neuschnee zu der verschlossenen Scheune. Beide sahen sie die verkohlten Überreste von Michelles Spielhaus unten am Teich, aber keiner von beiden erwähnte sie auch nur mit einem Wort. Zu sehr erinnerte die noch schwelende Asche an die Schrecknisse der vergangenen Nacht.
Cathryn lenkte den Transporter rückwärts aus der Garage. Nur ungern fuhr sie jetzt weg. Cathryn hatte die wiedergewonnene Nähe zu Charles genossen, gerade weil es auch Michelle besserging und trotz der Randalierer. Da sie noch nie einen Transporter gefahren hatte, bereitete es ihr Mühe, den großen Wagen zu wenden. Dann winkte sie Charles zum Abschied und fuhr langsam die eisglatte Auffahrt hinunter.
Am Fuß des Hügels wandte sie sich noch einmal zum Haus um. Das harte Winterlicht ließ es zwischen den kahlen Bäumen noch verlassener aussehen. Quer über die Eingangstür war in großen zerlaufenen Buchstaben das Wort ›Kommunist‹ geschrieben. Der Rest der Farbe war gegen das Haus geschüttet worden und in dünnen Streifen an der Wand heruntergelaufen. Aus der Entfernung sah es aus wie Blut.
Während der Fahrt zur Bostoner Polizeizentrale in der Berkeley Street überlegte Cathryn, was sie Patrick O’Sullivan sagen sollte. Sie beschloß, sich möglichst kurz zu fassen und war sicher, alles innerhalb weniger Minuten durchgestanden zu haben.
Als Cathryn schließlich vor der Polizeizentrale ankam, konnte sie keinen Parkplatz für den Transporter finden. Am Ende stellte sie ihn einfach in eine gelbe Halteverbotszone. Ein Fahrstuhl brachte sie in den sechsten Stock, wo sie O’Sullivans Büro ohne Mühe fand. Sie klopfte kurz und
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