Fieber
in ein Krankenhaus einliefern sollen. Aber auf das, was sie dann zu sehen bekam, war Cathryn doch nicht vorbereitet gewesen. Irgendein Lebensnerv in Marges Gehirn mußte gerissen sein, denn sie war in eine tiefe Apathie gesunken und weigerte sich, zu essen oder zu schlafen. Cathryn hatte sich schweigend zu Marge gesetzt und war bei ihr geblieben, bis ein entsetzlicher, immer stärker anwachsender Druck sie wieder fortgetrieben hatte. Es war, als ob Marges Depression allmählich auf sie übergeflossen war. Cathryn floh zurück ins Kinderkrankenhaus, von dem grauenvollen Ende einer Tragödie zum Beginn einer neuen.
Der Fahrstuhl, der sie hinauf zur Station Anderson 6 brachte, war dicht besetzt. Cathryn dachte darüber nach, ob das, was mit Marge geschehen war, auch sie oder Charles treffen könnte. Charles war Arzt, und Cathryn hatte gedacht, daß er zumindest mit diesen Schattenseiten der Wirklichkeit besser zurechtkommen mußte. Aber sein Verhalten hatte sie in dem Punkt wenig beruhigt. So unerträglich ihr Krankheit und Krankenhaus auch waren, Cathryn versuchte doch, sich gegen die Zukunft zu wappnen.
Als der Fahrstuhl auf der Station 6 hielt, drängte Cathryn sich nach vorn, um die Türen noch zu erreichen, bevor sie sich wieder schlossen. Sie war voller Ungeduld, endlich zu Michelle zurückzukommen, denn das Kind hatte sie nur sehr zögernd gehen lassen. Schließlich war es Cathryn gelungen, Michelle zu überreden, sie nach dem Essen gehen zu lassen. Dafür hatte sie versprochen, in einer halben Stunde zurück zu sein. Und jetzt war schon fast eine Stunde verstrichen.
Am Morgen, nachdem Charles gegangen war, hatte sich Michelle an Cathryn geklammert und immer wieder darauf bestanden, daß ihr Vater zornig auf sie war. Was Cathryn auch dagegen gesagt hatte, es konnte Michelle nicht umstimmen.
In der Hoffnung, daß Michelle vielleicht schlafen würde, öffnete Cathryn die Tür zum Krankenzimmer. Auf den ersten Blick schien es auch so zu sein, denn Michelle bewegte sich nicht. Aber dann entdeckte Cathryn, daß das Kind seine Bettdecke zur Seite getreten hatte und von den Kissen tief ins Bett gerutscht war. Ein Bein lag merkwürdig verkrampft unter dem anderen. Als Cathryn einen Schritt nähergetreten war, sah sie, daß sich Michelles Brust heftig hob und senkte. Am meisten aber erschreckte Michelles Gesicht sie, es hatte einen bläulichen Schimmer angenommen, und die Lippen waren kastanienbraun verfärbt. Cathryn stürzte zum Kopfende des Bettes und griff nach Michelles Schultern.
»Michelle!« rief sie und schüttelte das Kind. »Was ist los?«
Michelles Lippen bewegten sich und ihre Augenlider flatterten hoch, aber es war nur Weißes zu sehen. Die Augen hatten sich in ihren Höhlen krampfartig verdreht.
»Hilfe!« schrie Cathryn. Sie lief zur Flurtür. »Hilfe!«
Die Oberschwester sprang hinter ihrem Schreibtisch hervor und lief zu Cathryn. Eine Stationsschwester folgte ihr. Aus dem Zimmer neben Michelles kam eine Hilfsschwester gelaufen. Sie alle stürzten an Michelles Bett und schoben die vor Entsetzen gelähmte Cathryn beiseite. »Laß einen Notruf durchgeben«, bellte die Oberschwester.
Die Hilfsschwester, die am Fußende des Bettes stehengeblieben war, lief zum Apparat der Haussprechanlage und gab an die Schwesternstation durch, daß ein Notarztteam alarmiert werden sollte.
Inzwischen hatte die Oberschwester Michelles Puls gefunden. Das Herz ging rasend schnell. »Fühlt sich wie eine Rhythmusstörung an; das Herz geht so schnell, daß man kaum die einzelnen Schläge fühlt«, sagte sie.
»Das denke ich auch«, stimmte die Stationsschwester zu. Sie legte die Manschette des Blutdruckmeßgeräts um Michelles Arm.
»Ihre Atmung ist zyanotisch«, sagte die Oberschwester. »Soll ich ihr eine Mund-zu-Mund-Beatmung geben?«
»Ich weiß es nicht«, sagte die Stationsschwester, während sie die Blutdruckmanschette aufpumpte. »Vielleicht hilft es gegen die Zyanose.«
Die Hilfsschwester kam zurück und legte Michelles verkrampftes Bein gerade. Die Oberschwester beugte sich über Michelle, hielt ihr die Nase zu, legte ihren Mund auf Michelles und blies Luft in Michelles Lungen.
»Ich habe ihren Blutdruck«, sagte die Stationsschwester. »Sechzig zu vierzig, aber er schwankt.«
Die Oberschwester setzte die Beatmung fort, aber Michelles hechelnder Atem beruhigte sich nicht. Die Oberschwester richtete sich wieder auf. »Ich glaube, ich behindere sie mehr, als daß ich ihr helfe.«
Cathryn stand an die Wand
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