Fieber
tief hinunter zu ihr. »Wie fühlst du dich?« Er wußte nichts anderes zu sagen. Ein dunkler Schatten legte sich auf Michelles Augen, und sie begann zu weinen. »Ich will nach Hause, Daddy.« Sie zögerte, ihm zu sagen, wie schlecht sie sich fühlte.
Verlegen, weil seine Gefühle ihn zu überwältigen drohten, biß Charles sich in die Unterlippe und sah zu der Frau, die neben ihm stand. Dann wandte er seinen Blick wieder zu Michelle, strich ihr volles schwarzes Haar zurück und legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie war heiß und feucht. Das Fieber mußte noch gestiegen sein. Michelle griff nach seiner Hand und klammerte sich an ihr fest.
»Darüber reden wir gleich«, sagte Charles. Seine Lippen zitterten.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte die Frau. »Sie sind sicher Dr. Martel. Ich bin Dr. Brubaker. Dr. Keitzman hat mich gebeten, nach Michelle zu sehen. Ich bin Kardiologe. Und darf ich Ihnen auch Dr. John Hershing vorstellen, er ist unser Chefarzt.«
Charles gab sich keine Mühe, auf den freundlichen Ton einzugehen. »Was ist passiert?«
»Sie hatte eine schwere Herzrhythmusstörung«, sagte Dr. Hershing. »Aber ihre Herzfunktion und der Kreislauf sind jetzt wieder stabil.«
Charles sah Dr. Brubaker forschend an. Sie war eine große, schöne Frau mit ausgeprägten Gesichtszügen. Ihr blondes Haar war auf dem Kopf lose zusammengesteckt.
»Was hat die Rhythmusstörung verursacht?« fragte Charles. Michelle klammerte sich immer noch an seine Hand.
»Das können wir noch nicht genau sagen«, erklärte Dr. Brubaker. »Im Moment gehe ich davon aus, daß es entweder eine allgemein empfindliche Reaktion auf die zweite Dosis Daunorubicin war, oder ein Symptom, das zu ihrem Krankheitsbild gehört: eine langsame Erkrankung des Muskels. Aber bevor ich etwas Endgültiges sagen kann, muß ich meine Untersuchung beenden, wenn Sie gestatten. Dr. Keitzman und Ihre Frau sind im Aktenraum der Schwesterstation. Wenn ich es richtig verstanden habe, warten sie dort auf Sie.«
Charles wandte sich zu Michelle. »Ich komme gleich wieder, Liebling.«
»Geh nicht weg, Daddy«, bettelte Michelle. »Bleib bei mir.«
»Ich gehe ja nicht weit«, sagte Charles und löste sanft Michelles Hand von seinen Fingern. Immer wieder ging ihm Dr. Brubakers Bemerkung, daß Michelle eine zweite Dosis Daunorubicin erhalten hatte, durch den Kopf. Das klang äußerst ungewöhnlich.
Cathryn sah Charles den Flur hinunterkommen, noch bevor er sie entdeckt hatte. Sie sprang auf und schlang ihre Arme um seinen Hals.
»Ich bin so froh, daß du da bist, Charles.« Sie drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter. »Das ist alles zu schwierig für mich.«
Charles hielt Cathryn im Arm und sah über sie hinweg in den Aktenraum. Dr. Wiley stand an einen Tisch gelehnt, die Augen auf den Boden gerichtet. Dr. Keitzman saß Charles direkt gegenüber auf einem Stuhl. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen, seine Hände über dem rechten Knie gefaltet und schien angestrengt die Stoffqualität seiner Hose zu prüfen. Niemand sagte ein Wort, aber Charles spürte die gespannte Atmosphäre. Sein Blick wanderte zwischen den beiden Ärzten hin und her. Die Szene wirkte zu künstlich, zu gestellt. Irgend etwas stand unmittelbar bevor, und Charles haßte diese falsche Theatralik.
»Also gut«, sagte Charles herausfordernd. »Was geht hier vor?«
Wie auf Kommando sprachen Dr. Wiley und Dr. Keitzman gleichzeitig los und brachen ebenso plötzlich mitten in ihrem ersten Satz ab.
»Es geht um Michelle«, sagte Dr. Keitzman schließlich.
»Das habe ich angenommen«, erwiderte Charles. Der schmerzhafte Druck auf seinen Magen wurde noch größer.
»Ihre Reaktion auf die Behandlung ist nicht so, wie wir gehofft haben«, sagte Dr. Keitzman seufzend und sah Charles zum ersten Mal ins Gesicht. »Arztfamilien sind immer die problematischsten. Ich werde das das Keitzman-Gesetz nennen.«
Charles war nicht nach Humor zumute. Er starrte den Onkologen an, dessen Gesicht wieder nervös zusammenzuckte.
»Erklären Sie mir, was es mit dieser doppelten Dosis Daunorubicin auf sich hat.«
Dr. Keitzman schluckte. »Gestern hatten wir Michelle die erste Dosis gegeben, aber sie hat nicht darauf reagiert. Deshalb hat sie heute eine zweite Dosis bekommen. Wir müssen unbedingt die Leukämiezellen in ihrem Kreislauf vernichten.«
»Das entspricht nicht der gewöhnlichen Behandlungsmethode«, fuhr Charles den Onkologen an.
»Nein«, antwortete Dr. Keitzman zögernd. »Aber Michelle ist auch
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