Fillory - Die Zauberer
und beobachteten ein Phänomen, das nirgendwo in den Büchern beschrieben wurde: Der Mond von Fillory war nicht rund, sondern tatsächlich wie eine Sichel geformt, ein eleganter, silbriger Bogen, der über den Himmel schwebte und dabei langsam um sein leeres Gravitationszentrum rotierte.
Als die Sonne unterging, schlugen sie auf einem verwilderten, quadratischen Weidestück ihr Lager auf. Embers Grab, so erzählte Dint, befinde sich im nächsten Tal, aber es sei ratsam, die Nacht nicht zu dicht in seiner Nähe zu verbringen. Er und Fen teilten die Wachen unter sich auf. Penny bot an, eine zu übernehmen, aber sie lehnten ab. Zum Abendessen gab es Roastbeef-Sandwiches, die sie noch aus dem Haus auf dem Land mitgebracht und aufgespart hatten. Anschließend rollten sie ihre Schlafsäcke aus und schliefen unter freiem Himmel, das zähe, harte, grüne Gras von ihren Körpern plattgedrückt.
EMBERS GRAB
Glatt und grün lag der Hügel vor ihnen. An seinem Fuß war eine schlichte Pforte eingelassen: zwei mächtige, grob behauene vertikale Steinplatten mit einer dritten Platte quer darüber. Die Öffnung war dunkel und erinnerte Quentin an einen U-Bahn-Eingang.
Der Morgen graute gerade erst und die Pforte befand sich auf der Westseite des Hügels, so dass der Schatten des Hügels über sie fiel. Das Gras war mit blassem Tau glasiert. Es herrschte tiefe Stille. Die Umrisse des Hügels hoben sich als smaragdgrüne Sinuskurve vor dem erblassenden Himmel ab. Was immer geschehen würde, es würde hier geschehen.
In hundert Metern Entfernung hielten sie inne und drängten sich eng zusammen, elend und ungeduscht. Sie versuchten, sich ein wenig zusammenzureißen. Der Morgen war kalt. Quentin rieb die Handflächen aneinander und versuchte es mit einem Wärmezauber, durch den er sich jedoch lediglich fiebrig und ein wenig gereizt fühlte. Irgendwie bekam er die Zirkumstanzien Fillorys nicht in den Griff. In der Nacht hatte er tief und fest geschlafen und lebhaft geträumt. Das Gewicht seiner Müdigkeit hatte ihn hinunter in dunkle, primitive Reiche gezogen, heimgesucht von brüllenden Winden und winzigen, pelzigen Wesen, frühen Säugetieren, die sich ängstlich im hohen Gras verbargen. Er wünschte, hier nur noch ein klein wenig länger stehen bleiben und das rosafarbene Licht auf dem Tau betrachten zu dürfen. Jeder von ihnen trug ein schweres Jagdmesser, das auf der Erde viel zu übertrieben gewirkt hatte, hier jedoch lächerlich unzulänglich schien.
Die Form des Hügels brachte tief in seinem Langzeitgedächtnis eine Saite zum Schwingen. Er dachte an den Hügel, den sie in dem verzauberten Spiegel gesehen hatten, in dem muffigen kleinen Abstellraum in Brakebills, wo er, Alice und Penny zusammen gelernt hatten, vor so langer Zeit. Der Hügel sah genauso aus. Doch dasselbe galt auch für Tausende anderer Hügel. Es war bloß ein Hügel.
»Nur, um das klarzustellen«, sagte Eliot zu Dint und Fen. »Es heißt Embers Grab, aber Ember liegt hier nicht begraben. Und er ist nicht tot.«
Er klang genauso entspannt und sorglos wie in seinen besten Tagen in Brakebills. Er suchte nur noch nach dem I-Tüpfelchen, klärte die Einzelheiten, so wie er unbekümmert eine von Bigbys Aufgabenstellungen zu zerpflücken pflegte oder ein eng beschriebenes Weinetikett entzifferte. Er war völlig ruhig. Je weiter sie nach Fillory hineingelangten, desto nervöser fühlte sich Quentin. Bei Eliot geschah genau das Gegenteil: Er wurde immer gelassener und selbstsicherer, genauso, wie es Quentin eigentlich von sich erwartet hätte. Doch er hatte sich falsch eingeschätzt.
»Jede Epoche findet ihre Verwendung für diesen Ort«, erklärte Fen. »Eine Mine, ein Fort, ein Schatzlager, ein Gefängnis, ein Grab. Einige haben tiefer gegraben, andere haben Teile zugemauert, die sie nicht benötigten oder vergessen wollten. Es ist eine der Tiefen Ruinen.«
»Also wart ihr schon mal hier?«, fragte Anaïs. »Ich meine, da drinnen?«
Fen schüttelte den Kopf. »Nicht in dieser. Aber in hundert anderen, ähnlichen.«
»Nur, dass sich in dieser die Krone befindet. Wie ist sie eigentlich dorthin geraten?«
Quentin hatte sich das auch schon gefragt. Wenn die Krone wirklich Martin gehört hatte, war er vielleicht in die Ruine hinein gegangen, bevor er verschwunden war. Vielleicht war er dort unten gestorben.
»Die Krone ist da«, schnappte Dint. »Wir gehen rein und holen sie. Schluss mit den Fragen.«
Ungeduldig wirbelte er sein Cape herum.
Alice stand ganz
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