Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman
brechen und unangepasst sein!
Musik zu hören mit einer textlichen Aussage, die eigenen Einstellungen widerspricht, ist nicht schädlich, sondern nützlich. Es erweitert den eigenen Horizont und regt dazu an, die eigenen Standpunkte zu überprüfen. Viele tun so, als würde der Konsum von Musik mit abweichenden Aussagen Ideen in unschuldige Hirne einpflanzen, ohne dass sich der Konsument dagegen wehren könne. Als würde so ein Sound abhängig machen wie eine Droge und schädliche politische Meinungen verbreiten wie ein Virus.
Und selbst wenn so etwas in Einzelfällen passieren könnte: Falls für bestimmte minderbemittelte Gruppen solch ein Risiko tatsächlich bestehen sollte, kann das doch kein Grund sein, sich selbst fantastische Kunst vorzuenthalten.
10. Rache
Mein Wecker reißt mich mit dem passenden Song aus dem Schlaf:
♫
„Are you afraid, afraid to die
Don’t be afraid, afraid to try“
(Type O Negative — Are You Afraid)
Ich würde nie zugeben wollen, Angst zu haben — zum Glück habe ich keine. Trotz meiner neu erworbenen Dauernüchternheit, die viel besser zu ertragen ist als gedacht.
Nach dem Aufstehen um 15 Uhr 30 — meine acht Stunden Schlaf brauche ich schließlich immer — beginne ich diesen Tag mit der Vorbereitung auf den Abend.
Ich packe alle nötigen Ausrüstungsgegenstände zusammen. Die Axt stecke ich in die Hülle eines Tennisschlägers. Mit einem Tennisschläger nachts durchs Bahnhofsviertel zu laufen — das hat doch Stil. Ich lege ein Brecheisen mit Klaue auf der einen und Spitze auf der anderen Seite dazu. Die Klaue ist der gebogene Teil am Ende des Werkzeugs, der zum Aufhebeln verwendet wird.
Passend dazu stelle ich mir ein sportlich-verwegenes Outfit zusammen: Lederjacke, Wollmütze, Quarzsand-Handschuhe, dazu Cargo-Pants und schwere Boots. Alles in Schwarz, so wie ich es mag. Klassisch elegant, im Dunkeln schlecht zu sehen und vor allem unempfindlich gegen Flecken.
Ich reiße eine Seite aus meinem Notizbuch und verfasse eine Erklärung. Missverständnisse möchte ich unter allen Umständen vermeiden — keine Lust für ein Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrunds oder der Mafia gehalten zu werden.
Den Rest des Tages verbringe ich mit Meditation und Mahlzeiten. Ausreichend Eiweiß und Kohlenhydrate stehen auf dem Speiseplan, heute Abend will ich wirklich fit sein.
Die Sonne geht langsam unter. Ich mache mich warm, dazu einige Lockerungs- und Dehnübungen. Fühle mich gut und absolut fokussiert. Ein Gefühl wie mit 13, als ich mich auf eine Verabredung im kaputtesten Viertel der Stadt vorbereitete. Eine dieser Verabredungen, bei denen man sich vorher aufwärmt und von den Freunden begleiten lässt, die am gefährlichsten aussehen. Ein bekannter Schläger, etwas älter als ich, hatte damals etwas mit mir zu klären. Die Hauerei wurde vereinbart, weil ein Dritter Gerüchte über uns gestreut hatte. Ich war nicht unbedingt scharf auf diese körperliche Auseinandersetzung und in den Augen sämtlicher Experten auch nicht gerade der Favorit in diesem Kampf. Trotzdem war es keine Option, das Treffen platzen zu lassen. Beide Gruppen traten sich abends am Stadtrand gegenüber und warfen sich grimmige Blicke zu. Kurz bevor es losging gelang es mir glücklicherweise, die Intrige aufzudecken und damit einer fast sicheren Niederlage zu entgehen. So konnte ich im doppelten Sinne mein Gesicht wahren. Kloppe gab es dann trotzdem noch, der ebenfalls anwesende Verleumder wurde zur Strafe von einem Achtjährigen aus der gegnerischen Gang verdroschen …
Ich putze mir noch mal die Zähne. Die Tube furzt mir den letzten Rest Zahnpasta auf die Bürste, danach ist sie leer. Gutes Timing, denke ich.
Unter der Dusche genieße ich das warme Wasser und fühle mich danach viel sauberer — sogar moralisch. Alle Zweifel sind weggewaschen. Nicht, dass die jemals besonders stark gewesen wären. Meine Entscheidung für diesen Weg fiel schließlich bereits an Sinas Bett im Krankenhaus — wenige Stunden nach der Tat.
Sinas Vergewaltiger dem deutschen Rechtsstaat zu überlassen kommt nicht in Frage. Nach ein oder zwei Jahren wären sie wieder draußen und alles geht von vorn los — nein danke. Wir wissen doch alle, wie das läuft. Wenn der Staat nicht für Gerechtigkeit sorgt, dann ist Selbstjustiz die einzige Option.
Ich ziehe mich an, packe alles zusammen und mache mich auf den Weg ins Bahnhofsviertel. Tür auf, die Luft ist
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