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Filmriss

Filmriss

Titel: Filmriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Buettner
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alle dran gewesen. Irgendwas musste ich machen.«
    Marlon kniet vor dem Bewusstlosen, einem Mann von ungefähr vierzig Jahren in Arbeitsanzug und Gummistiefeln.
    »Ihr zischt alle ab«, sagt er schließlich. »Sofort.«
    »Und du?«, frage ich. »Was machst du?«
    »Ich bleib hier und warte, bis er wieder aufgewacht ist. Ich glaub, das dauert nicht lange. Der Typ arbeitet hier auf dem Hof. Wenn er mich erkennt, wird er halbwegs beruhigt sein.«
    Tatsächlich fängt der Mann schon an, sich ein kleines bisschen zu bewegen.
    »Aber wie willst du ihm das alles erklären?«
    »Ich werd sagen, dass ich was vom Boot holen wollte.« Er kramt in seinen Taschen. »Den Schlüssel hier, das ist einer von unserem Haus. Ich werd ihm erzählen, dass ich ihn hier so gefunden hab und dass ich grade noch jemanden habe weglaufen sehen. Jemanden, den ich nicht erkannt hab. Er wird also denken, dass irgendein Einbrecher dahintersteckt . – Aber jetzt seht zu, dass ihr den Abgang macht! Er wacht sicher bald auf, dann seid ihr besser weg.«
    Friedas Tagebuch
    Wir haben ziemlich Schwein gehabt, das kann man nicht anders sagen. Wir waren grad abgezogen, da ist der Landarbeiter aufgewacht. Er war so verwirrt, dass er Marlon die Geschichte vom unbekannten Einbrecher abgekauft hat. Sonst wäre der natürlich dran gewesen und wir alle gleich mit, das ist klar. Marlon hat mit seinem Handy noch den Notarzt gerufen.
    Wir haben dann in der Hütte weitergefeiert. Als Marlon schließlich zurückkam, waren wir anderen schon ziemlich hacke.
    »Der Notarzt meinte«, sagte er, »dass der Mann höchstens eine kleine Gehirnerschütterung hat. Das nenn ich ›Mehr Glück als Verstand haben‹.«
    »Wobei ›Verstand‹ bei manch einem hier nicht gerade viel heißen will«, meinte ich mit einem Seitenblick auf Karsten. Aber der hat nicht mal diese Ätzbemerkung richtig kapiert.
    »Hey, feist«, hat er erleichtert zu Marlon gesagt. »Da bin ich echt froh drüber. Danke, Alter. Jetzt machen wir aber zur Feier des Tages noch mal ein richtiges Fass auf!«
    Es ist Ebbe. Der Halbmond hängt überm Watt, die Wolken haben sich verzogen. Der wellenförmige Schlick glänzt im Licht, ein paar Pfützen sehen aus wie winzige Meere oder Seen. Manchmal sehe ich alles fast überdeutlich, dann verschwimmt es wieder. Wie durch eine Kamera, bei der jemand das Objektiv verstellt hat. Mir ist schlecht, ich hab eindeutig zu viel getrunken. Aber da bin ich nicht die Einzige, wir sind alle ganz schön dicht.
    Nur Marlon und ich sitzen noch im Sand, bisschen frische Luft schnappen.
    »Ich friere.« Meine Stimme klingt so fremd. »Mir ist kalt.« Ich will damit sagen, dass Marlon mich in den Arm nehmen soll.
    Aber Marlon fährt mit einer Hand unter meinen Pullover, in der anderen hält er die Flasche. Er ist auch ziemlich betrunken.
    »Nicht«, sag ich leise. »Deine Hand ist auch kalt.« Ich zieh sie unter meinem Pullover weg.
    »Wo sind eigentlich die anderen?«, frage ich.
    »Keine Ahnung, wahrscheinlich zu Hause. Ist doch egal, oder? Hauptsache, wir sind da.«
    Wieder sehe ich Marlon im Sommer auf dem Boot vor mir. Der Gedanke an unseren Abend auf der Star Search im Hafen tut plötzlich fast weh. Heute haben wir das Schiff total in den Sand gesetzt. Er, ich, wir alle. Am Ende ist alles nur eine Kursfrage. Ich kann Marlon nicht richtig ansehen. Ich zittere noch mehr.
    »Das war nix heute, oder?«, sagt Marlon.
    »Stimmt«, sag ich, »das war echt nix.«
    »Ich muss jetzt nach Hause, Käpt’n.«
    Ich versuche aufzustehen. Nach ein paar Anläufen schaff ich es endlich. Es ist nicht einfach, mich im tiefen Sand auf den Beinen zu halten. Vorsichtig geh ich los, so als wäre es glatt.
    »Hey, warte doch eben!«, ruft Marlon.
    Ich geh einfach weiter und weiß nicht mal, ob er mir nachkommt, jedenfalls seh ich ihn nicht mehr und höre auch nichts mehr von ihm.
    Erst nach Ewigkeiten spür ich wieder festen Boden unter den Füßen. Als es so weit ist, komm ich mir vor wie Robinson, der endlich das Ufer erreicht hat. Gerettet! Ganz allein geschafft, ohne Kapitän. Aber wie geht es jetzt eigentlich weiter nach Hause?

14
    Manchmal sagt man, man würde am liebsten sterben. Aber man sagt es nur so dahin, man meint es nicht. An diesem Morgen sage ich es nicht, weil ich gar nicht reden kann, aber ich meine es. Noch viel lieber wäre ich schon tot. Nie zuvor im Leben ging es mir dermaßen beschissen. Mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand einen Holzklotz reingepresst, der größer ist als

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