Filou: Ein Kater sucht das Glück - Roman (German Edition)
du Diable hoch, setzte sich auf seinen Beobachtungsposten auf der Felsnase und sah zu, wie der Mond über den Himmel hetzte und Beaulieu in kaltes Licht tauchte. Die Tage verdöste er auf der Friedhofsmauer, so lange, bis er den Schulbus hörte, der sich täglich um die gleiche Zeit die schmale Straße nach Beaulieu hochkämpfte. Dann lief er hinüber zum Kriegerdenkmal und hockte sich hinter den Zaun in den längst verblühten Lavendel, um auf Marla zu warten.
Sie brachte ihm immer etwas mit, sah ihm beim Fressen zu und streichelte und liebkoste ihn, bis er selig schnurrte. Doch er spürte, wie traurig sie war.
»Der Sommer ist vorbei«, sagte sie irgendwann. »Was wird aus dir im Winter?«
Er wusste nicht, was Winter war, aber das Wort weckte seine Erinnerung: an kalten Wind, Regen, Dunkelheit. Aber er erinnerte sich auch an verdämmerte Tage im Kinderwagen auf dem Dachboden, eng an Zsazsa gekuschelt. An wohlige Wärme, süße Milch und die zärtliche Zunge seiner Mutter.
So einen Winter würde es für ihn nie wieder geben. Wenn er sich wenigstens in das warme Bett von Marla verkriechen könnte, wenn es draußen stürmte! Doch auch das war vorbei. Er steckte seinen Kopf in Marlas Hand. Er war mindestens so traurig wie sie.
Und eines Tages kam sie nicht um die gewohnte Zeit. Filou wartete, geduldig, er wusste ja, dass sie ihn nicht im Stich lassen würde. Aber sie kam nicht an diesem und auch nicht am nächsten Tag. Als sie auch am übernächsten Tag nicht kam, legte er sich in den Lavendel und beschloss, nie wieder aufzustehen.
Um Zsazsa hatte er getrauert, wie man das tut, wenn man klein ist: untröstlich und mit wütender Verzweiflung. Der erwachsene Schmerz fühlte sich anders an. Bitterer. Wenn Marla ihn verlassen hatte, dann war er von der Welt verlassen.
Tagelang lag er so, versunken in seine Trauer. Deshalb nahm er erst gar nicht wahr, dass ihn jemand rief. Ein zartes Stimmchen, zitternd vor Besorgnis.
Er rappelte sich hoch und zwängte sich durch den Zaun. Da stand sie, Marla, ganz blass und dünn geworden.
Sie war krank gewesen. Danach hatte man sie tagelang nicht aus dem Haus gelassen. Sie hatte ihn entsetzlich vermisst. Und sie hatte ihm etwas mitgebracht.
Aber er spürte keinen Appetit. Er kroch auf ihren Schoß, rollte sich zusammen und wünschte, sie würde nie wieder fortgehen.
ZWEIUNDZWANZIG
E s wurde Herbst. Es ging auf den Winter zu. Die Sommergerüche wichen dem Duft von moderndem Laub und feuchter Erde. Noch immer ging Filou allen Katzen aus dem Weg, doch seit man das Kampfgeschrei der Kater nur noch selten hörte, traute er sich nächtens wieder ins Dorf, prüfte die Gerüche und Duftspuren und setzte seine eigenen Wegmarken.
Seine Wege wurden länger. Irgendwann wagte er sich sogar hoch ins Viertel oberhalb der Kirche, wo die Häuser standen, die nur während der Touristensaison bewohnt waren. Es sei unheimlich da oben, hatte er sagen hören, ein Spuk gehe um, wenn die Ferienhausbesitzer zurück in ihre Heimat gefahren waren und die Häuser leer und kalt und dunkel in den verwilderten Gärten lagen. Ihm war nie ein Gespenst begegnet, er hatte nur Fledermäuse getroffen, die über seinen Kopf hinweghuschten, ganz nah, aber nie so, dass er sie erwischen konnte. Und ein Liebespaar, das er durchs Parterrefenster in eines der Häuser hatte steigen sehen.
Doch vielleicht hatte jemand den alten Mann mit einem Geist verwechselt, der im üppigen Park einer Villa im Gartenhaus wohnte? Filou hatte einmal die halbe Vollmondnacht neben dem freundlichen Greis mit der sanften Stimme verbracht, sich neben ihn auf die Bank vor der Hütte gesetzt und beruhigend geschnurrt, während der alte Herr ihn streichelte. Der fütterte ihn nicht, der hatte selbst nicht genug zu kauen. Aber er konnte Gedichte. »Il pleure dans mon cœur comme il pleut sur la ville«, daran erinnerte er sich.
Doch eines Nachts, als er von einem dieser Ausflüge zurückkehrte und bei der Kirche abbog, dachte auch er an Gespenster. Aus einem Hinterhof hörte er seltsame Laute, es scharrte und wisperte, so klangen weder Mäuse noch Nachtvögel oder gar Menschen. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Was er sah, war gespenstisch genug: Es mussten sämtliche Katzen der Umgebung sein, die sich dort versammelt hatten und auf Mülltonnen und Fenstersimsen hockten, auf Treppenstufen und in Blumentöpfen. Sein Instinkt riet ihm zur sofortigen Flucht. Aber seine Neugier siegte. Er kroch näher.
Irgendetwas stimmte hier nicht. Diabolo stand
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