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Finnisches Requiem

Finnisches Requiem

Titel: Finnisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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verstorbene Frau hatte eine Vorliebe dafür gehabt, Gäste einzuladen, so war er seinerzeit gezwungen gewesen, sich mit Weinen zu beschäftigen. Der Kellermeister hatte ein leichtes Amt. Er redete nie über Weine, sondern konzentrierte sich aufs Trinken.
    Ratamo erkundigte sich bei Claudia Kuurma nach Riittas Kindheit und bekam eine mehr als erschöpfende Antwort. In dem fünfzehnminütigen Vortrag, der von keiner Pauseunterbrochen wurde, enthüllte sie, daß Riitta ein ernstes Kind gewesen war. Und das vor allem, nachdem sie mit sechs Jahren zusehen mußte, wie ein trächtiges Pferd bei ihrem Onkel Asko in Skåne ins Eis einbrach und ertrank. Das Mädchen war weinend zu ihrem Onkel gerannt und hatte verkündet, nicht mehr an Schutzengel zu glauben.
    »Mutter, laß das. Diese Geschichten interessieren Arto doch nicht«, sagte Riitta und versuchte den Redefluß ihrer Mutter zu stoppen. Ohne Ergebnis.
    Nach der Vorspeise wurden Riittas Jugend, ihre Zeit als Teenager und ihre Beziehungen zu Männern erörtert, obwohl Riitta in regelmäßigen Abständen versuchte das Thema zu wechseln. In der interessantesten Nebenhandlung ging es um einen Forstarbeiter namens Kössi. Riitta wollte ihn als Zwanzigjährige heiraten und mit ihm aufs Land, nach Ristijärvi, ziehen, um Bäuerin zu werden. Claudia Kuurma hielt es für ihr Verdienst, daß diese Beziehung scheiterte. Ratamo zweifelte nicht einen Augenblick daran.
    Claudia Kuurma redete und redete. Als sie Riittas Lebensgeschichte geschildert hatte, folgte ihr eigener Lebenslauf. Ratamo lauschte fasziniert, wie sie von ihrer Kindheit im süditalienischen Amalfi erzählte, mit Interesse ließ er sich von ihrem Musikstudium in Rom erzählen, mit einem Ohr hörte er hin, als es um das Stipendium an der Sibelius-Akademie ging, und zerstreut verfolgte er die Schilderung des Umzugs nach Finnland und des Kulturschocks, den sie dabei erlebt hatte. Die Beschreibung der Arbeit im Rundfunksinfonieorchester, der Gastspiele auf den weltberühmten Bühnen und der Umstellung auf die Rolle einer Rentnerin rauschte an ihm vorbei wie der Wetterbericht von vorgestern. Was zuviel war, war zuviel.
    Auch Riitta hatte sich anscheinend mit dem Redeschwall ihrer Mutter abgefunden und versuchte nicht mehr, das Gespräch auf andere Themen zu lenken. Nelli wickelte diePasta geschickt um ihre Gabel, und Ilmari Kuurma schien an die Monologe seiner Frau gewöhnt zu sein.
    Ratamo hörte wieder aufmerksam zu, als Claudia Kuurma wortreich vom neuen Hausherrn in der Kirche des heiligen Henrik erzählte, von Jósef Wrobel, dem Bischof der katholischen Kirche in Finnland. Der polnische Seelenhirt hatte schon Konflikte unter den finnischen Katholiken ausgelöst, weil er das Gesetz über die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren offen ablehnte.
    Die Stimme der Schwiegermutterkandidatin ging Ratamo allmählich auf die Nerven. Er unternahm einen Versuch, auch die anderen ins Gespräch einzubeziehen. »Es wundert mich, daß die Beziehungen von Homos und Kondome die Themen sind, über die in der katholischen Kirche am heftigsten diskutiert wird. Geht es denn beim Glauben nicht um wichtigere Dinge?« Als seine Worte noch in der Luft schwebten, begriff Ratamo schon, daß er danebengegriffen hatte. Es war nicht seine Absicht gewesen, sich so zugespitzt auszudrücken, ihm waren einfach die falschen Worte herausgerutscht. Wenn er doch wenigstens einen Priem kauen könnte!
    Nach seiner Bemerkung hörte das Klappern der Bestecke schlagartig auf, als hätte man es mit dem Messer abgeschnitten. Die drei Kuurmas starrten Ratamo an wie das Tier aus der Apokalypse. »Vielleicht machen sich die Menschen keine großen Gedanken mehr«, sagte Ratamo in dem Bemühen, die totale Katastrophe zu verhindern.
    Claudia Kuurma fuhr in ihrer Geschichte da fort, wo sie vor der Unterbrechung stehengeblieben war. Ihr Blick allerdings verriet, was sie von dem Schwiegersohnkandidaten hielt. Riitta schaute verstohlen zu ihm herüber, Ratamo sah, daß es ihr peinlich war.
    Obwohl Riitta die einzige Vegetarierin am Tisch war, wurde niemandem Fleisch serviert. Das störte jedoch nicht, das Essen war zumindest genauso hervorragend wie das, wasRiitta kochte. Ratamo konzentrierte sich auf seine Pasta und suchte wieder das Gespräch mit Ilmari Kuurma, der neben ihm saß. Als alle Angelthemen durchgekaut waren, blieb das Gespräch wieder beim Dreißigjährigen Krieg hängen.
    Ratamo hatte die Nase voll. Die beiden Frauen verhielten sich so, als wäre er

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