Fire after Dark - Dunkle Sehnsucht
Krieg zu einer Vielzahl an expressionistischen Bewegungen und zur Moderne. Die Künstler, die Sie vertreten, lassen mich vermuten, dass auch Sie an dieser Zeit interessiert sind. Dieser Künstler hier ist beispielsweise definitiv vom Post-Expressionismus und der Bloomsbury-Gruppe beeinflusst. Ich liebe die einfachen Formen und die blassen Farbtöne, die Naivität. Das Gemälde von dem Stuhl und der Blumenvase könnte sogar ein Original von Duncan Grant sein.«
Der Galeriebesitzer starrt mich an, dann bildet sich ein Lächeln um seine dünnen Lippen, und gleich darauf lacht er laut auf. »Also, Sie sind auf jeden Fall Feuer und Flamme, das muss man Ihnen lassen. Ein Abschluss in Kunstgeschichte? Das ist eine gute Ausgangsbasis. Setzen Sie sich, lassen Sie uns reden. Kann ich Ihnen Tee oder Kaffee anbieten?«
»Sehr gern.« Ich strahle ihn an und setze mich auf den Stuhl, auf den er gezeigt hat. Von diesem Moment an verstehen wir uns ausnehmend gut. Man kann sich mühelos mit ihm unterhalten – er ist charmant, hat hervorragende Manieren –, und ich habe überhaupt kein Vorstellungsgesprächslampenfieber. Es ähnelt eher einer entspannten Unterhaltung mit einem wohlmeinenden Lehrer, nur dass er haufenweise mehr Stil hat als jeder Lehrer an meiner alten Schule. Er versteht es ausgezeichnet, mir Informationen zu entlocken, ohne dass es mir auffällt, und ich erzähle ihm von meinem Abschluss, meinem Studentenleben, meinen Lieblingskünstlern und warum es mich immer zur Kunst gezogen hat, obwohl ich weder zeichnen noch malen kann.
»Die Welt braucht Menschen, die bestimmte Dinge lieben, nicht nur Menschen, die diese Dinge produzieren«, bemerkt er. »Das Theater gibt es beispielsweise nicht nur wegen der Schauspieler und Regisseure. Es gibt auch noch Agenten, Produzenten, Direktoren und Finanzleute, die das Ganze am Laufen halten. Bücher existieren nicht nur aufgrund der Schriftsteller, sondern auch aufgrund der Verleger und Lektoren und all der Menschen, die aus Liebe zum Buch eine Buchhandlung führen. Mit der Kunst verhält es sich ebenso. Man muss nicht wie Renoir malen können, um Kunst zu schätzen und in dem heiklen, aber wichtigen Metier zu arbeiten, in dem Künstler gefördert und unterstützt werden, indem man ihre Werke kauft und verkauft.«
Ich bin begeistert von der Vorstellung einer Karriere in der Kunstwelt, und vermutlich liest er mir die Begeisterung an der Nasenspitze ab, denn er schaut mich über den Rand seiner goldgefassten Brille an und meint keineswegs unfreundlich: »Aber in all diesen Bereichen ist es schwer, sein Auskommen zu finden, denn der Wettbewerb ist enorm. Es ist von entscheidender Bedeutung, den Fuß in die Tür zu bekommen. Auf meine Karte im Schaufenster haben sich schon Dutzende Interessenten beworben. Die Leute wissen, dass es eine hervorragende Gelegenheit ist, Erfahrung zu sammeln.«
Ich wirke offenbar ernüchtert, denn er lächelt und sagt: »Aber ich mag Sie, Beth. Sie begeistern sich offensichtlich für Ihr Fachgebiet und kennen sich darin aus. Ich kenne einen der Tutoren an Ihrer Universität, er ist ein alter Freund von mir, darum weiß ich, dass Sie über exzellente Grundkenntnisse in moderner Kunst verfügen. Ich sage Ihnen etwas: Ich spreche nachher noch mit einigen Leuten, aber ich werde unsere Unterhaltung nicht vergessen.« Einen Moment lang wirkt er ernst. »Ich muss betonen, dass es nur eine Stellung auf Zeit ist. Mein eigentlicher Assistent musste unerwartet ins Krankenhaus und steht mehrere Wochen nicht zur Verfügung, aber sobald er sich erholt hat, kehrt er natürlich auf seinen Posten zurück.«
Ich nicke. »Das ist mir klar.« Ich sage ihm nicht, dass ich selbst nur vorübergehend in London lebe. Das lässt sich alles noch klären, falls er mir den Job anbietet, was momentan nicht sehr wahrscheinlich ist.
Er reicht mir eine elfenbeinfarbene Visitenkarte mit marineblauer Schrift:
James McAndrew
Riding House Gallery
Darunter seine Kontaktdaten. Ich nenne ihm meine Handynummer und meine E-Mailadresse, die er sich auf einem Notizblock auf dem Schreibtisch notiert. Seine Handschrift ist – ebenso wie er – maßvoll, elegant und ein kleines bisschen altmodisch.
»Ich melde mich bei Ihnen«, verspricht James und schenkt mir wieder dieses weise Lächeln, das so typisch für ihn ist, und einen Augenblick später stehe ich auf der Hauptstraße und fühle mich überglücklich. Ich grinse mein Spiegelbild in den Schaufenstern an, an denen ich vorbeikomme,
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