Firelight 1 - Brennender Kuss (German Edition)
und unterdrücke einen Schmerzensschrei. Ein Stöhnen dringt aber doch nach draußen.
»Jacinda! Mach jetzt sofort auf!«
Dann höre ich noch mehr Geräusche, einen Knall, Schuhe, die über den Boden quietschen, ein misstönendes Poltern. Dann fängt die Kabine um mich herum an zu wackeln.
»Jacinda …«
Wills Stimme kommt plötzlich aus einer anderen Richtung. Mit wild hämmerndem Herzen sehe ich nach oben und blinzle ungläubig.
Über den oberen Rand der Kabine blickt Will zu mir herab, den Mund vor Schrecken weit aufgerissen. Seine haselnussbraunen Augen glühen matt, während er mich betrachtet.
»Will«, bringe ich heiser hervor. Meine Sprache ist kaum mehr verständlich. »Bitte.«
Sein Gesicht ist mir völlig fremd. Die Schönheit darin ist noch immer dieselbe, irgendwie jedoch auch nicht. Anders. Schrecklich.
Dann ist er fort. Ich höre, wie seine Schritte laut über den Boden hasten, als er aus der Toilette flieht.
Der Uhr über dem Schreibtisch des Direktors zufolge haben wir noch immer die siebte Stunde.
Dabei kann das gar nicht sein. Sicher habe ich nicht in so kurzer Zeit mein Volk verraten und einfach alles verloren – jede Hoffnung, jede Chance und Will!
Der Direktor legt auf, stellt das Telefon ab und wendet sich wieder mir zu. Seine blauen Augen, die unter buschigen grauen Brauen sitzen, sehen hart aus. Diese Art von Blick schüchtert mit Sicherheit die meisten Jugendlichen furchtbar ein, aber auf mich hat er wenig Wirkung. Nicht wo in ebendiesem Moment Will irgendwo ganz in der Nähe die Puzzleteile zu einem Ganzen zusammenfügt.
Wie betäubt sitze ich da und starre aus dem Fenster auf die rotbraune Erde, die den Pausenhof einfasst. Rissig und voller Falten ist sie, wie die Haut eines alten Mannes, der zu lange in der glühenden Sonne gesessen hat.
Ich habe es geschafft, mich vollständig zurück in einen Menschen zu verwandeln, bevor mehrere Lehrer angetrabt kamen, um zu sehen, was der Aufstand zu bedeuten hat. Obwohl Catherine versichert hat, dass Brooklyn und ihre Freundinnen uns angegriffen haben, habe ich einen Schulverweis bekommen.
Einige der Mädchen haben zum Beweis ihre Verbrennungen gezeigt. Man hat zwar kein Feuerzeug bei mir finden können, aber sie sind davon ausgegangen, dass ich es im Klo hinuntergespült habe.
»Deine Mutter ist unterwegs.«
Ich nicke nur, inzwischen hat sie schon zu Hause sein müssen. Immerhin wollte sie uns am Nachmittag abholen.
Ich trage ein rotes Chaparral-T-Shirt, das genauso stinkt wie der Karton, aus dem man es gefischt hat. Mein zerrissenes Hemd liegt am Boden eines Mülleimers. Jeder glaubt, es sei bei der Prügelei kaputtgegangen – noch so eine Vermutung, die ich gerne bestätige.
»An dieser Schule gelten strenge Regeln, Ms Jones. Wir dulden keinerlei Gewalt!«
Ohne richtig zuzuhören, nicke ich wieder. Vor meinem inneren Auge sehe ich Will, höre seine schnellen Schritte, als er davongerannt ist, und denke daran, wie sehr er mich jetzt hassen muss.
Allmählich, Sekunde für Sekunde, wird mir das wahre Ausmaß des Grauens bewusst. Es ist noch viel mehr passiert. Etwas, was sogar noch schlimmer ist, als mir Wills Hass zuzuziehen. Ich habe es getan – ich habe alle Drakis verraten und unser größtes Geheimnis aufgedeckt. Das eine, das uns all die Jahrhunderte lang geschützt hat. Die eine Sache, die Jäger und Enkros nicht gewusst haben – und niemals hätten erfahren dürfen.
Jetzt wissen sie Bescheid.
Na ja, zumindest einer von ihnen. Und alles nur meinetwegen. Ich schließe die Augen. Mein Magen verkrampft sich. Ich fühle mich hundeelend, als die Erkenntnis langsam in mich sickert.
Offenbar kann der Direktor meinen Seelenschmerz deutlich erkennen, auch wenn er ihn falsch deutet. »Wie ich sehe, bereuen Sie, was Sie angerichtet haben. Gut – wenigstens ist Ihnen die Tragweite Ihres Handelns bewusst. Ich erwarte, dass Sie sich benehmen werden, sobald Sie wieder zum Unterricht erscheinen. Sie sind neu hier, Ms Jones, und Sie hinterlassen nicht gerade den besten ersten Eindruck. Denken Sie darüber nach.«
Wieder nicke ich halbherzig.
»Sehr schön. Sie können draußen auf Ihre Mutter warten.« Damit weist er zur Tür. »Sobald sie da ist, werde ich mit ihr über Ihren Verweis von der Schule reden.«
Ich stehe auf und verlasse das Zimmer. Mein Körper bewegt sich langsam, ausgelaugt und müde vom schweren Kampf gegen sich selbst. Ich sinke in einen Stuhl und spüre den feindseligen Blick der Schulsekretärin auf mir.
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