First Night - Der Vertrag (German Edition)
im Augenblick wegen ihres kleinen Sohnes nicht praktizierte.
Julia antwortete brav und hoffte, dass die Frau sich damit begnügte, wenn sie ihr die Semester , die Klausuren und die bereits absolvierten Praktika aufzählte, aber offenbar fühlte sich Frau Raschberg nicht befriedigt, denn sie schickte Gusti weg und bat sie, von oben aus den Büros noch weitere Flyer zu holen. Kaum war Gusti gegangen, da beugte sich die Anwaltsgattin über den Tisch, beide Hände aufgestützt, ihre Finger mit den langen Designer-Plastik-Fingernägeln bedrohlich auf der Tischplatte aufgespreizt.
„Wenn Sie es mit meinem Mann treiben“, sagte sie mit drohender Stimme, „sollten Sie wissen, dass er jede poppt, die er kriegen kann. Deshalb sind Sie noch lange nichts Besonderes, nur weil er sie mal kurz mit seiner Gunst beglückt. Er wird sich nicht scheiden lassen, Kindchen! Nicht ihretwegen und auch sonst wegen keiner. Egal, wie viele Flittchen er vögelt, ich bleibe seine Ehefrau und er frisst mir aus der Hand.“
„Wie schön für Sie!“ , stammelte Julia.
„Ja, nicht wahr?“, kam es bissig von den knallroten Lippen der Dame. „Ich kläre die Fronten gerne im Voraus. Dann weint nachher keine!“
„Ist gut!“
Julia schüttelte innerlich den Kopf. Was veranlasste eine Frau dazu, die Untreue ihres Mannes einfach so hinzunehmen und sich damit zu arrangieren? Sie würde das nicht aushalten können. Zu wissen, dass der Ehemann jede poppt, die er kriegen kann. Sie konnte nicht einmal an diese Ines Mahler-Werth denken, ohne Magenschmerzen zu bekommen, und dabei hatte sie nicht das geringste Recht auf Eifersucht.
Frau Raschberg, die toleranteste Ehefrau der Welt , kratzte mit ihren langen Fingernägeln ganz leicht über den Tisch, so dass ein seltsames Geräusch entstand, und wenn Julia die Geste richtig interpretierte, hieß das soviel wie: Ich würde dir am liebsten das Gesicht zerkratzen . Dann sagte sie mit einem hochnäsigen Lächeln „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Kindchen!“ und stakste mit einem sexy Hüftschwung zu einem der Raschberg-Kunden, der einsam an einem Bistrotisch stand.
Kaum war der Infostand geschlossen, kam Isabel zu Julia und schleppte sie zuerst zum Buffet und dann zur Bar. Sie war total aufgedreht und suchte nach Spaß. Julia war unruhig und wäre jetzt am liebsten nach Hause zu Benni gegangen. Immerhin war es gerade erst fünf Tage her, dass ein paar obskure Kerle nach dem Jungen gesucht hatten. Außerdem ließ Frau Raschberg Junior keine Gelegenheit aus, um Julia mit galligen Blicken zu bedenken, wann immer sie gerade in ihre Richtung schaute. Aber Isabel bestand darauf, dass man die kalte Astrid (so nannte sie Frau Raschberg) einfach ignorieren müsse, weil die die Nummer mit jeder neuen Frau in der Kanzlei abzog – aus verständlichen Gründen, wenn man so einen Ehemann hatte. Isabel wollte sich jedenfalls nicht den Spaß verderben lassen und nachdem die beiden gut gegessen und ein Glas Sekt getrunken hatten, wurde Julia von Isabel auf die Tanzfläche geschleppt, wo sie sich eine Weile im Freistil vergnügten, bis ein älterer Herr kam, der Isabel zum Walzer aufforderte. Als Julia sich gerade von der Tanzfläche schleichen wollte, stand Raschberg Junior vor ihr und bat um den Tanz. Hätte sie ihn eher kommen sehen, dann hätte sie noch rechtzeitig die Flucht geschafft, aber so blieb ihr kaum eine andere Wahl, als sich von ihm in den Arm nehmen zu lassen und sich von ihm schwungvoll hin- und herschieben zu lassen. Die ganze Zeit suchte Julia mit ängstlichen Blicken die Reihen der umstehenden Leute ab, ob irgendwo die Ehegattin stand und die Fingernägel schon wetzte, während Raschberg Junior ausgiebig damit beschäftigt war, über sich selbst zu reden.
„Sehen S ie sich um, wer heute alles da ist. Der alte Lüdke, dann Sumpf vom Umzugsunternehmen, Krünewold vom Kaufhaus, Feinkost-Pantel, Kleinmann, der Immobilienmakler und sogar Prof. Mertens von der Humboldt-Uni. Wenn man so weit gekommen ist, dann hat man es geschafft.“
Unter Einsatz seines ganzen Körpers schwenkte er sie im Kreis und drückte sie dabei unnötig eng an sich. Die gleiche enge Berührung von einem ganz bestimmten anderen Mann, und sie wäre feucht geworden. Bei Raschberg spürte sie nur Widerwillen. Die Namen, die er genannt hatte, sagten Julia überwiegend gar nichts, bis auf Mertens, den Dekan von der juristischen Fakultät.
„Natürlich kommen manche nie so weit. Man muss schon nach Großem greifen,
Weitere Kostenlose Bücher