Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
»Du hast kapiert, dass du nicht gern verlierst, na und?«
»Ab heute ist Schluss, ab heute verliere ich nicht mehr. Das soll nicht heißen, dass ich nicht auch mal verlieren kann, aber ich will es nicht, und wenn ich verliere, bin ich nicht zufrieden. Ich kann das nächste Rennen kaum erwarten, ich möchte endlich wissen, wie es ist, wenn man gewinnt.«
»Willst du mich verarschen? Du hast doch schon zigmal gewonnen.«
»Nein, Signore, Entschuldigung, nein, nein. Bisher hab ich noch nie gewonnen, fragen Sie mich nicht, ich kann es nicht erklären, aber es ist so.«
Ich bin drauf und dran, ihn zu fragen, tu’s aber nicht und weiß auch nicht, was ich sonst sagen soll. Absurd, dieses Umschwenken innerhalb eines halben Tages, aber noch absurder ist, dass ich mir bis vorgestern alles Mögliche hätte einfallen lassen, um ihn zu sabotieren (ein bisschen hab ich’s ja sogar gemacht), mich jetzt aber, wo er mir sagt, dass er gewinnen will, kein bisschen ärgere. Wenn ich ehrlich bin, freue ich mich sogar darüber. Vielleicht wegen meinem Vater, der sonst zum Alkoholiker wird und an der übelriechendsten Stelle des Kanals dahinsiecht und dann krepiert. Vielleicht wegen Muglione, das drauf und dran war, auch diese Chance auf Ruhm und Ehre zu verpassen. Irgendwie weiß ich gar nicht so richtig, warum ich froh darüber bin, und ich will es auch nicht unbedingt wissen.
»Und noch was, Signore. Jetzt, wo Sie eh wach sind, kann ich Sie da was fragen?«
»Schieß los, aber mach’s kurz.«
»Wieso hasst ihr die Alten?«
Schweigend mustere ich ihn. Er hat immer noch diesen dümmlichen Ausdruck im Gesicht. »Was?«
»Gestern Nacht habt ihr doch von einer Bande gegen die Alten gesprochen, Sie und Ihre Freunde, und …«
»Blödsinn, ich hab dir doch schon gesagt, das hast du falsch verstanden, das war nur so dahergeredet.«
»Aber diese Riesenpuppe im Auto, was habt ihr denn damit gemacht?«
»Was geht dich das an.«
»Ich weiß nicht genau, aber ich würde es gern wissen.«
»Du spinnst ja! Das war nur ein Spielzeug für Giulianos Neffen, er hat es ihm zum Geburtstag gekauft.«
Der kleine Champion nickt, sagt erst mal keinen Ton, und als er wieder anfängt, spricht er ganz leise. »Signore, ich will Sie ja nicht ärgern, aber ihr habt gesagt, dass ihr die Puppe zum Friedhof bringen wollt.«
»…«
»Ich wollte Sie nicht belauschen, aber Ihr Freund Giuliano hat eine sehr laute Stimme.«
»Na gut, okay, wir haben sie zum Friedhof gebracht. Vor den Friedhof. Da gibt es einen … eine Art Container für Kleiderspenden … und da kann man auch Spielsachen reintun … Ach was, stimmt gar nicht, wir haben sie zum Friedhof gebracht, weil wir Lust dazu hatten, okay? Bist du jetzt zufrieden?«
Mirko rückt seine Matratze zurecht und legt sich flach hin.
»Nein, Signore, nicht wirklich.«
»Ach nein? Was willst du denn noch, was passt dir denn nun schon wieder nicht?«
»Gar nichts. Aber ich hab ja auch zu Ihnen gesagt, es gibt keinen besonderen Grund, warum ich das Kater-Sylvester-Glas benutzt habe, also haben wir wohl beide gelogen, Sie und ich.« Damit dreht er sich auf die andere Seite. Die Ratte.
»Ich hab’s gewusst! Verdammt, ich hab’s gewusst!« Ich schnelle hoch und setze mich auf den Bettrand. »Du weißt alles über das Glas, alles! Sag mir, was du weißt, du Mistkerl!«
»Verzeihung, Signore, lieber nicht.«
»Sag mir, was du weißt, oder ich schlag dir den Schädel ein, du Arsch!«
»Nein, bitte nicht.«
»Dann sag mir, was du weißt.«
»Machen wir’s so: Ich sage Ihnen, warum ich das Kater-Sylvester-Glas benutze, und Sie sagen mir das mit der Puppe und den Alten.«
Vor mir am Boden sehe ich nur seinen knochigen, geraden Rücken. Sein Lockenkopf sieht aus wie ein Haufen Kehricht, den man unter einem Bett zusammengekratzt hat.
»Einverstanden. Aber du fängst an, ich trau dir nämlich nicht.«
»Na gut, dann fang ich an, ich traue Ihnen nämlich.« Er dreht sich zu mir um und hat sich in der nächsten Sekunde aufgerichtet. Wir sitzen uns Auge in Auge gegenüber, jetzt wird nicht mehr geflunkert.
»Dann erzähl ich Ihnen also jetzt die Geschichte, aber ich will nicht, dass Sie sich aufregen …«
»Hängt davon ab, was du mir erzählst. Und jetzt red.«
»Zuerst mal möchte ich sagen, dass ich Ihren Vater mag. Nicht so sehr wie Sie, aber ich mag ihn. Aber Sie mehr, Signore.«
»Okay, verstanden. Und jetzt red endlich und lass den anderen Quatsch weg.«
»Ja, also: Ihr Vater hat da so
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