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Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive

Titel: Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Genovesi
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heute Nacht muss ich dort schlafen und wer weiß wie lange noch. Ich kann nur hoffen, dass ich mich daran gewöhne. Schön ist es allerdings nicht, sich an so was gewöhnen zu müssen: an den Geruch der Würmer und vor allem an das Geräusch. Würmer, das sagt sich so leicht, aber es gibt tausend verschiedene Arten: Ringelwürmer, Tauwürmer, Regenwürmer, Dendrobena, Rotwürmer, Pinkys, Mehlwürmer, Muriddu, Riminiwürmer … Der König unter den lebenden Ködern ist aber nach wie vor die Fleischmade, und die gibt einem wirklich das Gefühl, in einem Grab eingeschlossen zu sein.
    Gestern Nacht habe ich mir, weil es hier keine Pritsche gibt, aus den Säcken mit dem Fischfutter ein schönes Bett gemacht, mich mit Wachstuch zugedeckt, und alle, die mir Böses wollen, können mich mal. Ich brauche niemanden, mir geht es bestens so. Aber es ging mir nicht bestens. Der Geruch der Würmer war das erste Problem. Er ist nicht mal übel, er ist nur gewöhnungsbedürftig, ein bisschen salzig vielleicht. Aber ich habe ihn sofort vergessen, als ich das Geräusch hörte. Ich lag mit offenen Augen im Dunkeln, und es wurde immer lauter. Zum Glück fing ab und zu der Kühlschrank an zu brummen, oder ein Auto fuhr vorbei und übertönte es kurz. Aber dann kam es wieder, ein gleichförmiges Rauschen, vermischt mit einem leichten Kratzen. Millionen Würmer und Milliarden Füßchen scharren die ganze Nacht im Dunkeln in ihren kleinen Kisten und suchen nach einem Ausweg, den es nicht gibt.
    Ich lag also auf den Futtersäcken mit Amaretto-, Käse- oder Kirscharoma und dachte: Das ist das Geräusch, das wir im Sarg zu hören kriegen. Dort wird es sogar noch lauter sein, weil du in der engen Holzkiste völlig abgeschottet bist und die Würmer auf dir rumkrabbeln und in dich reinkriechen und machen, was sie wollen.
    Darüber könnte ich einen schönen Text für die Band schreiben. Das Thema haben sich schon verschiedene Gruppen vorgenommen, es erschöpft sich aber nie, finde ich. Und deshalb habe ich letzte Nacht angefangen, mir die ersten Zeilen des Songs auszudenken.
    Und noch etwas anderes ging mir durch den Kopf: Meine Mutter liegt ja tatsächlich unter der Erde und hört dieses Geräusch schon eine ganze Weile. Vielleicht ist es jetzt besser, ein Jahr ist um, und die Würmer haben inzwischen wohl ganze Arbeit geleistet, aber der Gedanke daran ist nicht schön. Meiner Meinung nach ist es tausendmal besser, sich einäschern zu lassen. Ein ordentlicher Flammenstoß, und es ist vorbei. Das ist so ähnlich wie mit dem Ende eines Songs. Grauenhaft, wenn ein Song langsam ausgeblendet und immer leiser wird … Du hast einen Mordsspaß beim Zuhören, und plötzlich wird es ohne Grund leiser. Die Band spielt zwar weiter, aber die Lautstärke wird gedrosselt, und am Ende ist da nichts mehr.
    Nein, die Stücke mit einem donnernden Finale sind mir viel lieber. Mit einem Crescendo, das durch die Decke geht. Die Instrumente legen noch mal ordentlich zu, und dann zwei, drei Schläge, alle zusammen, bam, bam, baaam . Ein klarer Schnitt, kein Verplätschern. Ein ordentlich aufflammendes Feuer, und dann ist Schluss.
    Mit diesen Gedanken im Kopf schlief ich irgendwie ein. Vier, fünf Stunden sehr ungemütlicher Schlaf, aber früh um acht war ich schon wieder auf den Beinen. Die Sonne schien, und ich war voller Tatendrang. Ich wollte mich bewegen, herumwirbeln, ohne Zweck und Ziel, einfach nur, um nicht in dieser Leere zu verharren wie all die Würmer in ihren Kisten.
    Also habe ich den Laden aufgesperrt und das Schaufenster geputzt und angefangen, die Pinnwand mit den Fotos der Fische, die die Kunden gefangen haben, in Ordnung zu bringen.
    »Was ist, hat einer was gefangen«, höre ich in meinem Rücken, während sich die Tür mit einem Pling öffnet. Ich zucke zusammen, schaffe es aber, mich nicht umzudrehen. Es ist mein Vater, und den Gefallen will ich ihm nicht tun.
    »Schon was verkauft?«
    »Hab grad erst aufgemacht.«
    »Na ja, ist ja Samstag heute, da wird es bald losgehen«, sagt er gut gelaunt und bleibt untätig am Eingang stehen. Eigentlich hätte er heute Morgen gar nicht zu kommen brauchen, wir hatten vereinbart, dass er am Nachmittag arbeitet. Was will er also hier? Vielleicht will er wissen, wie es mir geht, vielleicht hat er sich Sorgen gemacht. Wäre für einen normalen Vater ja auch nichts Ungewöhnliches.
    »Und Boten? Schon einer gekommen?«
    »Ich hab dir doch gesagt, dass ich grad erst aufgemacht habe.«
    »Stimmt, stimmt. Hast du

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