Fish im Trüben
Kommandotrupp, pirschten wir, sobald es dunkel wurde, aus dem Depot, ich gestärkt von einem Flachmann Rum, die anderen vom Kaffee. Glaube ich jedenfalls.
Der Stoßtrupp traf gegen Mitternacht ein, drei von ihnen. Sie kannten den Modus operandi des Wachmanns gut genug, um auf seine Teepause zu warten, und kamen über den Zaun herein; sie trugen schwarze Klamotten und schleppten ihre Ausrüstung in Armeesäcken. Wir hatten alle zu viele Steve-McQueen-Filme gesehen.
Mein Team ging auf Alarmstufe eins und schwärmte lautlos hinter ihnen aus, mit dem Befehl, nicht zuzuschlagen, bevor man sie auf frischer Tat ertappen konnte. Ich blieb, wo ich war, weit hinten, geduckt hinter einem Haufen ausrangierter Bahnschwellen. Dann bemerkte ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung, ein weiterer Sprayer kam über den Zaun. Er ging nicht zu den anderen, sondern verschwand zwischen mir und der Polizei im Schatten.
Während die Bullen die Sprayer einkreisten, bewegte ich mich auf den Neuankömmling zu. Sobald die Sprayer mit ihrem Stadtverschönerungsprojekt anfingen, schlug die Polizei zu, und die Hölle brach los. Die Sprayer schrien sich Warnungen zu und stoben davon, die heulenden Bullen in wilder Jagd hinterher.
Der Aufruhr lockte mein Opfer aus seinem Versteck, und als er aufstand, um einen besseren Blick über die Lage zu bekommen, sprang ich ihn an. Mit meinem beträchtlichen Gewichtsvorteil war es nicht schwer, ihn flachzulegen, seine Handgelenke zu packen und ihn auf die Füße zu ziehen.
Es war ein dünner, hellhäutiger Junge in schwarzer Kleidung und Laufschuhen. »Sad Sack, nehme ich an«, sagte ich.
Der Junge kriegte große Augen. Als er den Schock, von einem Fremden erkannt zu werden, den er für einen Bullen hielt, überwunden hatte, sagte er halbherzig: »Laß mich gehen, du Bastard. Ich habe nichts getan.«
»Ich bin kein Bulle«, sagte ich. »Ich arbeite für deine Eltern. Sie wollen dich zurückhaben.«
Für einen Moment war er verblüfft, dann gewann er seine Fassung zurück. »Das sind Idioten...«
»Das gehört nicht zur Sache«, unterbrach ich ihn. »Im Augenblick mußt du nur hier rauskommen, bevor sie dich wegen unbefugten Betretens rankriegen.«
Er starrte mich an: »Sie lassen mich laufen?«
»Für den Moment. Ich komme morgen früh um neun in dein Büro und hole dich ab. Du kommst morgen nach Hause.«
Das haute ihn um. Ich kannte ihn nicht nur, ich wußte auch alles über sein kleines Unternehmen.
»Was, wenn ich mich weigere?«
»Sieh mal, Sean. Die Bullen kennen deine Telefonnummer, und sie waren in deinem Büro. Sie wissen, wovon du lebst. Sie können dich für drei Monate aus dem Verkehr ziehen. Mit Brian.«
Sein Gesicht wurde störrisch, also versüßte ich es ihm. »Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Ich denke, man wird dir erlauben, eine Kunstschule zu besuchen.«
Wir wurden von lauten Stimmen unterbrochen, als die Polizei mit ein paar protestierenden Gefangenen im Schlepptau zurückkam. Als ich mich umdrehte, schoß Sean davon, kletterte über den Zaun und verschwand.
Es war spät, aber es war wichtig, also rief ich die Somers an und sagte, ich glaubte, Sean davon überzeugt zu haben, nach Hause zu kommen, und verbrachte dann zehn Minuten damit, Sharon davon abzuhalten, morgens in die Stadt zu fahren und ihren Sohn abzuholen.
Das SSC-Chefbüro war verlassen, als ich am nächsten Tag vorbeikam. Der Geschäftsführer hatte sich aus dem Staub gemacht. Die Bürotür stand einen Spalt offen, also ging ich rein. Sean hatte einen Schreibtisch, einen Aktenschrank und eine verkümmernde Zimmerpflanze zurückgelassen, aber sein Computer und sein Drucker waren verschwunden. Farbkopien seiner Designs prangten immer noch an den Wänden — er war gut.
Als ich mit der schlechten Nachricht in Richtung Norden fuhr, grübelte ich über die Mysterien von Genen und Vererbung nach. Niemand schien zu wissen, woher der Junge sein künstlerisches Talent hatte, aber es war offensichtlich, woher seine Skrupellosigkeit stammte. Er würde sie brauchen, so allein in der Stadt, aber ich bezweifelte nicht, daß er überleben würde. Tatsächlich könnte ich darauf wetten, daß wir in nicht allzu langer Zeit wesentlich mehr von Sean Somers hören würden. Auf die eine oder andere Art.
Im Augenblick machte ich mir allerdings mehr Sorgen über die unmittelbare Zukunft und was ich mit dem Zettel tun sollte, den ich an der Wand des SSC-Büros gefunden hatte. Darauf stand: »Sag ihr, daß ich es weiß.«
Auf
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