Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
hatten sich mir tief eingeprägt und mir einiges zu denken gegeben. In mancher Hinsicht hatte ich Nachtauge und das Band zwischen uns als selbstverständlich betrachtet. Früher war er ein Welpe gewesen, inzwischen war er mir ebenbürtig. Und mein Freund. Manche Menschen sagen ›ein Hund‹ oder ›ein Pferd‹, als wäre ein Tier wie das andere, als hätte es jeweils keine Persönlichkeit und keinen unverwechselbaren Charakter. Das habe ich nie verstehen können. Man muss nicht die Gabe der Alten Macht beherrschen, um die Zuneigung eines Tieres zu schätzen und zu begreifen, dass eine solche Beziehung ebenso reich und vielschichtig ist wie die zu einem Mann oder einer Frau. Nosy war ein freundlicher, neugieriger und verspielter Junghund gewesen, Fäustel dagegen zäh und angriffslustig, begabt mit einem etwas grimmigen Humor und bereit, jeden ins Bockshorn zu jagen, der ihm nicht Paroli bieten konnte. Nachtauge ließ sich mit ihnen so wenig vergleichen wie mit Burrich oder Chade. Und ich schätze niemanden von ihnen zu gering, wenn ich sage, dass ich doch Nachtauge am nächsten war.
Er konnte vielleicht nicht zählen. Doch umgekehrt war ich nicht in der Lage, aus der Witterung eines Rehs zu entnehmen, ob es sich um einen Bock oder eine Ricke handelte. Wenn er nicht weiter dachte als bis zur nächsten Jagd, war ich dafür nie zu der unbedingten Konzentration fähig, mit der er sich an ein Wild anpirschte. Zwischen uns gab es keine Befehle und kein Gehorsam. Meine Hände waren ihm nützliche Werkzeuge, um Stachelschweinborsten, Zecken und Dornen zu entfernen und um besonders heftig juckende und nur schwer erreichbare Stellen an seinem Rücken zu kratzen.
Durch meine Größe hatte ich einen gewissen Vorteil, wenn es darum ging, nach Wild auszuspähen oder die vor uns liegende Gegend zu überblicken. Deshalb, selbst wenn er mich wegen meiner ›Kuhzähne‹ verspottete oder wegen meiner schlechten Nachtsicht und einer Nase verlachte, die er als einen nutzlosen Klumpen zwischen meinen Augen bezeichnete, schaute er nicht auf mich herab. Wir wussten beide, dass wir seinem Jagdgeschick das meiste von dem Fleisch verdankten, das wir aßen. Doch niemals neidete er mir den gleichen Anteil. Finde das nur einmal bei einem Menschen!
»Platz, Hund!«, befahl ich ihm einmal aus lauter Spaß. Ich war gerade dabei, mit der gebotenen Vorsicht ein Stachelschwein aus der Deckung zu holen, das Nachtauge aufgestöbert hatte, wobei er in Anbetracht der Gegenwehr des Tieres mir die Ehre überließ, es mit einem Knüppel zu töten. Vor lauter Ungeduld, an das Fleisch zu gelangen, hätte er es aber fast so weit getrieben, dass wir beide nur mit Stacheln zurückgeblieben wären. - Bis er sich vor Ungeduld bebend ein paar Schritte zurückzog und sich hinsetzte.
Weshalb sprechen Menschen so?, fragte er mich, während ich das erlegte Tier behutsam auf den Rücken drehte.
»Wie?«
Mit Befehlen. Was gibt einem Menschen das Recht, einem Hund Befehle zu erteilen, wenn sie nicht in einem Rudel sind?
»Manche sind in einem Rudel, oder beinahe.« Ich zog das Bauchfell des Stachelschweins straff und führte am Stachelsaum entlang den ersten Schnitt. Mit einem reißenden Geräusch löste sich die Schwarte von dem fetten Fleisch. »Manche Menschen glauben, sie hätten das Recht dazu.«
Warum?
Zu meiner eigenen Verwunderung stellte ich fest, dass ich mir darüber nie Gedanken gemacht hatte. »Manche Menschen glauben, sie wären besser als Tiere«, sagte ich langsam. »Dass sie das Recht haben, sie zu benutzen oder zu ihren Sklaven zu machen.«
Glaubst du das auch?
Ich ließ mir Zeit mit der Antwort. Während ich die Haut immer wieder sorgfältig straffzog und mit dem Messer nachgriff, arbeitete ich mich damit langsam bis zur Schulter des Tieres hinauf. Wie war das mit Rußflocke gewesen? Hatte ich Skrupel gehabt, sie zu reiten? War ich besser als das Pferd, dass ich es meinem Willen unterwarf? Ich hatte mit Hunden gejagt, manchmal auch mit Falken. Welches Recht hatte ich, ihre Fähigkeiten für mich auszunutzen? Das waren ungute Gedankenspiele für jemanden, der gerade ein Stachelschwein abhäutete, um es zu verspeisen. Ich sprach es aus: »Sind wir besser als dieses Stachelschwein, das wir getötet haben? Oder waren wir einfach nur klüger und stärker?«
Mit zur Seite gelegtem Kopf schaute Nachtauge zu, wie mein Messer und meine Hände das Fleisch für ihn freilegten. Ich denke, ich bin immer klüger als ein Stachelschwein. Aber nicht besser.
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