Fix und forty: Roman (German Edition)
eine Tätigkeit, zu der wir uns täglich entschließen. Sie ist eine Wahl, die wir jedes Mal aufs Neue treffen, in der Hoffnung, dass sie eines Tages zu einer Gewohnheit wird, die so gefestigt ist, dass sie uns vor Kleinlichkeit und Gemeinheit bewahrt. Bis vor Kurzem hatte ich Niccolò Machiavellis brutale Philosophie vom Zweck, der alle Mittel heiligt, abgelehnt, doch in letzter Zeit fange ich an, mein Urteil zu revidieren. Wenn wir im Zuge der Entscheidung für ein tugendhaftes Verhalten manchen seltsamen Glauben praktizieren, was ist so schlimm daran? Haben wir nicht alle unsere merkwürdigen Bräuche und Rituale? Sicher, rein rational gesehen scheint die Vision eines Engels auf der Mauer ein unwahrscheinlicher Weg, Tugendhaftigkeit zu erlangen. Oder denken wir an die Nonnen. Darauf zu pochen, die Braut Christi zu sein, ist meiner Meinung nach ziemlich abgefahren. Genau wie die merkwürdige Bereitschaft, freiwillig auf Sex zu verzichten. Und doch tun diese Entscheidungen, so seltsam sie sind, niemandem weh. Es scheint, als würde es viele Wege zur Tugend geben, viele Wege, Verhaltensmuster zu schaffen, die zum ständigen Widerstand gegen das Böse in uns führen.
Lassen Sie uns eine Hypothese aufstellen: Was, wenn es Engel auf der Mauer gibt? Mit großer Wahrscheinlichkeit haben weder Sie noch ich sie je gesehen. Aber widerlegt das ihre Existenz? Ich höre schon das Gegenargument: »Wir haben auch noch nie einen Zombie gesehen, und für die meisten von uns ist allein das Nichtvorhandensein jeglicher Dokumentation bezüglich der Untoten Beweis genug, dass Zombies nicht existieren.« Wohl wahr. Trotzdem möchte ich auf einen wichtigen Unterschied zwischen Engeln und Zombies hinweisen. (Und hoffentlich bin ich nicht die Erste, die das tut!) Die Existenz von Engeln hat mit der Person Jesu Christi zu tun, einer echten historischen Figur aus Fleisch und Blut; die Existenz von Zombies dagegen hat keinen Bezug zu irgendeiner historischen Figur, es sei denn Sie zählen Calvin Coolidge.
In der jetzigen Phase meines Lebens bin ich nicht nur bereit einzusehen, dass es viele Wege zur Tugend gibt, sondern auch, dass unsere Erfahrungen auf den verschiedenen Wegen womöglich gleichermaßen real sind. Die Existenz übernatürlicher Wesen können wir ebenso wenig überprüfen, wie wir in der Lage sind, unsere Partner zu kontrollieren. Außerdem will ich weder übernatürliche Wesen überprüfen, noch meinen Partner kontrollieren. Was ich überprüfen will, was ich kontrollieren kann, ist mein eigener Umgang mit den Herausforderungen des Lebens. Wenn mein Mann mich unbedingt verlassen muss, na schön. Soll er doch. Ich sage: Lasst Ehemänner ihre Frauen wegen Kerlen namens Bob verlassen. Lasst Kerle namens Bob unsere Ehemänner aus Gründen abservieren, die wir nicht kennen. Lasst Engel auf unseren Mauern spazieren gehen. Lasst sie die Posaunen zum Schallen bringen, vor allen Leuten, und rufen: »Seid bereit für die Wege des Herrn!«
ELF
Und das ist gut so!
Eines Nachmittags, noch bevor ich zur mennonitischen Westküste aufbrach, führte ich beim Kochen ein Ferngespräch mit Alba. Bereit die Schalotten zu sautieren, gab ich einen Schuss Olivenöl in die Pfanne. Da ich mir wegen des gebrochenen Schlüsselbeins das Telefon nicht unters Kinn klemmen konnte wie jeder normale Koch, der ein Ferngespräch führt, musste ich mit der rechten Hand das Öl gießen und mit der linken den Hörer halten. Und als ich die Flasche wieder zu ihren Kollegen ins Regal zurückstellen wollte, beeinträchtigte das Halten des Telefons meine Reichweite. Ich musste das Olivenöl mit dem Etikett zur Seite ins Regal stellen. »Einen Moment«, sagte ich automatisch zu Alba und legte das Telefon hin, um die freche Flasche zurechtzurücken.
Erst dann wurde mir klar, was ich da tat. Mir persönlich war es vollkommen egal, ob das Etikett der Flasche nach vorne zeigte oder um neunzig Grad zur Seite gedreht war. Es war Nick, der Wert auf solche Dinge legte. Und Nick war nicht da. Versuchsweise drehte ich die Flasche wieder zur Seite, um herauszufinden, wie es sich anfühlte, gegen den rasenden Ordnungssinn meines Ehemanns zu verstoßen. Still und angespannt starrte ich die verschobene Flasche an. Verdammt , dachte ich. Ich konnte es nicht! Fünfzehn Jahre ließen sich nicht einfach um eine Vierteldrehung nach links verschieben. Ich rückte die Flasche wieder gerade. Es war ein aufschlussreicher Augenblick. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie weit zu gehen
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