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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rhoda Janzen
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Flaubert und Mies van der Rohe längst in Worte gefasst hatten, was ich heimlich fühlte: dass Gott im Detail steckte. Heute ist mir klar, was ich Flaubert schulde, doch diese kleine weiße Schleife machte mir bewusst, dass ich auch meiner Mutter etwas zu verdanken hatte. Es war ein schöner Gedanke, sie mir als Pionierin der Ästhetik vorzustellen. Sie war Mennonitin, doch sie war mein.

Schritt neun: Erinnere dich an die Akkordzither
    Während der ersten Wochen meiner Krise schrieb mir Lola jeden Tag E-Mails aus ihrer Bologneser Barockwohnung, manchmal zweimal täglich. Meine Finger waren der einzige Teil meines Körpers, der nicht schmerzte, und so tippte ich schnell einen vollständigen Bericht über das Ende von Nicks und meiner Beziehung, ohne ein Detail auszulassen. Von meinem Arbeitszimmer blickte ich hinaus auf die winterliche Wasserlandschaft, wo Eisschollen in der Mitte des nur teils zugefrorenen Sees versanken. Wenn die Dämmerung hereinbrach, hauchten die Lichter auf dem Damm am anderen Ende des Sees plötzlich der aufziehenden Dunkelheit Leben ein, und mit der Zeit wuchsen mir die kleinen, blinkenden Punkte ans Herz. Sie versprachen Beistand und Trost, wie Portias Kerze im Kaufmann von Venedig . »Wie weit die kleine Kerze Schimmer wirft! So scheint die gute Tat in arger Welt.« Also richtete ich es mir so ein, dass ich zur Dämmerung an meinem Schreibtisch saß, E-Mails an Lola schrieb und darauf wartete, dass es in der argen Welt zu schimmern anfing. Manchmal zitierte ich laut flüsternd einen Ausschnitt aus der Eucharistie, wobei ich den Namen des allmächtigen Gottes durch Lolas Namen ersetzte: »Allmächtige Lola, vor dir sind alle Herzen offen, du kennst alles Sinnen und Trachten, und kein Geheimnis ist dir verborgen.«
    Und als ich alles erzählt hatte, was es über die Situation mit Nick zu sagen gab, fragte ich Lola, was sie aß, trug, las, sang. »Erzähl mir von deinem unsichtbaren Schnurrbart«, bat ich sie. Oder: »Was machst du in Bologna, wenn du Lust auf chinesische Teigtaschen hast?« Sie beantwortete mir jede Frage, egal wie belanglos sie war. Sie berichtete von Sommersprossen, Möbelpolitur, den Dinnerpartys ihrer Schwägerin. Sie sprach von Deos, Bügelbrettern und doppelseitigem Klebeband. Sie beschrieb mir detailliert die Laufbahn und die Wirkung der alten Akkordzither, die meine Mutter im Jahr 1971 gebraucht gekauft hatte. Mom war enttäuscht gewesen, als Hannah und ich uns kategorisch geweigert hatten, das Instrument zu lernen. Irgendwie hatten wir 1971 instinktiv gewusst, dass die Akkordzither und alles, wofür sie stand, der Gipfel der Uncoolness war. Und so hatte meine Mutter eine Weile alleine darauf herumgeschrammelt und dazu gesungen, bis sie die Akkordzither in die Garage verbannte und sich wieder dem Klavierspielen widmete. Irgendwann später überraschte Lola meine Mutter, indem sie sich nach ebenderselben Akkordzither erkundigte. Dies war bei ihrem letzten Besuch in Kalifornien gewesen, und meine Mutter war glücklich, ihr die Akkordzither zu überlassen. Lola nahm das vergessene Instrument mit nach Italien, wo es seither so manchen Italiener in Staunen versetzt. In diesen und anderen Geschichten war Lola mir so gegenwärtig, dass ich kaum glauben konnte, dass sie in Wirklichkeit achttausend Kilometer weit weg war. »Hey, kleine Lola, spiel mir ein Lied auf deiner Akkordzither!«, sang ich vor mich hin.

Schritt zehn: Borschtsch und mehr
    Meine Freundinnen vor Ort, von denen die meisten wie ich am College unterrichteten, zeigten mir ihre Unterstützung, indem sie kleine Gaben in mein Büro-Postfach stellten, sobald ich wieder zur Arbeit gehen konnte. Ich fand den Stapel Grammatikklausuren vor, um den ich gebeten hatte, und daneben eine Schüssel mit Auberginenpaste. Ein Artikel über amerikanische Sexualwissenschaft aus dem Jahr 1912 kam termingerecht an, doch auf ihm stapelten sich Tupperdosen, von denen jede eine andere selbst gemachte Suppe enthielt. Ich fand schrullige Rezepte, verschiedene in Flaschen gefüllte und aromatisch einzigartige Essigsorten, eine Auswahl an marokkanischen Gewürzen. Neue Bestseller, alte Lieblingsbücher. Eintrittskarten zu Veranstaltungen, die mich nicht interessierten. Kerzen mit Düften, die ich nie ausgesucht hätte. Dankbar las ich alles, zündete alles an, ging zu allem hin.

Schritt elf: Das Mitgefühl der Studenten annehmen
    Meine Studenten wussten von dem Unfall, aber nicht von Nick. Ich hatte meine Freundinnen angewiesen, mit

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