Flammenbraut
laufen, wenn sie nicht zu Hause waren, um Diebe abzuschrecken.
»Kim war nicht immer so«, fuhr ihre Mutter mit erstickter Stimme fort, als die Trauer immer deutlicher wurde. »In der Highschool hat sie sich noch bemüht, hat bei Denny’s gekellnert und einen Sommer lang auch im Rathaus gearbeitet. Doch dann hat sie sich mit den falschen Jungs eingelassen, und das hat zu den Drogen geführt.«
Frank versuchte, ein mitfühlendes Gesicht zu machen, auch wenn er die »gutes Kind in schlechter Gesellschaft«-Geschichte schon unzählige Male gehört hatte. Den Eltern kam nie der Gedanke, dass ihr Kind die schlechte Gesellschaft sein könnte. »Kim war also mehr oder weniger durchgehend hier seit ihrer Entlassung im Juni, bis gestern früh?«
»Ja.«
»Wie hat sie sich die Zeit vertrieben?«, fragte Frank.
»Sie hat ferngesehen, gelegentlich mit den Nachbarn geredet.« Ein Lächeln ging zum ersten Mal seit ihrer Ankunft über Mrs. Hammonds Gesicht. »Manchmal hat es sie gepackt, und sie ist einkaufen gegangen und hat dann Abendessen gekocht. Sie kochte gern, wenn sie in der Stimmung dazu war.«
»Ging sie zum West Side Market?«
»Genau.«
»Hatte sie ein Auto?«
»Nicht einmal ich habe ein Auto.«
»Was hat sie sich im Fernsehen angesehen?«, erkundigte sich Sanchez.
Frank seufzte. Wenn seine Partnerin einen Fehler hatte, dann war es diese seltsame Neugier, was die banalen, alltäglichen Aspekte im Leben eines Opfers betraf, welche Musik es gemocht hatte, in welches Haustier es vernarrt gewesen war. Für ihn führten alle einleitenden Fragen lediglich auf eine hin: Hatte Kim Feinde? Die meisten Fälle lösten sich mit dieser Frage.
»Viele Shows. Wenn Kim daheim war, gehörte die Fernbedienung ihr. Diese Realityshows, meistens die, in denen die Kamera irgendwelche verwöhnten Leute aus Hollywood begleitet. Ich hasse diese Sendungen. Sie enden immer damit, dass sich die Leute wegen irgendeiner Kleinigkeit anschreien. Ich wünschte, ich hätte deren Probleme.«
»Wo ist Kims Vater?«, fragte Frank.
Mrs. Hammond runzelte die Stirn. »Er hat keinerlei Anteil an unserem Leben.«
»Gut, aber wo steckt er?«
»Kim hatte gerade mit der Junior Highschool angefangen, als er uns verlassen hat. Als ihn das Familiengericht endlich wegen der Unterhaltszahlungen für Kim aufgetrieben hatte, war er bereits tot. Verkehrsunfall in Chicago.«
»Das tut mir leid. Mrs. Hammond, könnten wir uns Kims Zimmer ansehen?«
Die Frau schnaubte. »Ich sitze mittendrin. Diese Wohnung hat ein Schlafzimmer, und das gehört mir. Wenn Kim hier war, schlief sie auf der Couch.«
Die Polizisten sahen sich um. »Wo hat sie ihre Sachen aufbewahrt?«, fragte Sanchez schließlich.
»In dem Schrank dort hängen einige Kleider. Ansonsten befindet sich alles unter der Couch, genauer unter dem Futon. Schauen Sie sich nur um.« Sie tauschte ihren Platz mit Frank, während sie die Hände an der Teetasse wärmte.
Frank kniete sich vorsichtig auf die am wenigsten fleckige Stelle des Teppichs und griff unter den Metallrahmen. Die Besitztümer des zweiundzwanzigjährigen Mädchens passten in zwei Pappkartons. Einen schob er Sanchez zu und zog sich Latexhandschuhe über, um den anderen durchzugehen. So würde er nirgends Fingerabdrücke hinterlassen, außerdem mochte er es nicht, die Sachen anderer Leute mit bloßen Händen anzufassen. Besonders nicht staubige Dinge, die in einer Bruchbude unter einem gammeligen Sofa aufbewahrt wurden.
Kim hatte ein paar Ketten aus Plastikperlen besessen, Creolen, eine Zigarrenkiste, einen Brief von einem Bewährungshelfer und ihre Zeugnisse aus der Highschool (die gar nicht so schlecht waren, wie Frank bemerkte), verschiedene Make-up-Utensilien, die Spuren von glitzerndem Puder in der Kiste hinterlassen hatten, und einen Haufen Socken, BH s und Unterhosen. Es war schwer zu sagen, ob sie frisch oder getragen waren, sodass Frank umso dankbarer für seine Handschuhe war.
In der Zigarrenkiste befanden sich zwei Stifte, eine Medaille – ein Adler an einem Kreuz – an einem ausgeblichenen Band, ein Schwarz-Weiß-Foto von einem rundgesichtigen Baby in einem Silberrahmen und ein kleines Spiralnotizbuch mit einem abgestoßenen Kartondeckel. Frank blätterte es durch. Die gelegentlichen Notizen in einer engen Schrift sagten ihm nichts.
»Das waren die Sachen ihres Vaters«, erklärte Mrs. Hammond. »Ich weiß nicht, warum sie sie aufgehoben hat.«
Sanchez hielt das Bild eines jungen Mannes aus der Kiste hoch. »Wer ist
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