Flammende Sehnsucht
Berkley.« Leo schnitt eine Grimasse. »Ich wollte damit nicht sagen, dass Sie sich solche Freiheiten herausnehmen würden.«
Reggies Miene blieb gefasst, doch in seinen Augen blitzte Belustigung auf.
Cassie hätte in diesem Moment viel für eine Pistole gegeben. »Es bereitet dir aber keine Schwierigkeiten, mir zu unterstellen, dass ich solche Freiheiten gestatten würde? Oder schlimmer noch, dass ich sie mir selbst herausnähme?«
Sie trat näher an ihren Bruder heran und stieß ihn mit dem Finger vor die Brust.
»Was hast du gedacht, dass ich ihn zu Boden werfe und mich auf ihn stürze?«
Ein seltsam erstickter Laut ertönte aus Reggies Richtung. Sie achtete nicht darauf. Um ihn würde sie sich später kümmern.
»Nun?« Sie stieß noch einmal, diesmal fester.
»Hör auf, Cass, damit ärgerst du mich nicht nur, du tust mir auch weh.« Leo packte sie am Handgelenk, zog sie ein paar Schritte fort, beugte sich zu ihr hinunter und senkte die Stimme, damit nur sie ihn hörte. »Ich habe zu viele Jahre damit zugebracht, auf dich aufzupassen, als dass ich jetzt aufhören könnte.«
»Lieber Himmel, Leo, du brauchst nicht...«
»Vielleicht war es in der Vergangenheit ja unnötig und vielleicht ist es das auch jetzt, aber ich sehe doch, wie er dich anguckt. Gott weiß, dass ich diesen Ausdruck schon oft genug in meinen eigenen Augen gesehen habe, wenn da eine Frau war, die ich, ums ohne Umschweife zu sagen, wollte. Schlimmer noch, du hast denselben Ausdruck im Auge. Noch nie hast du dich für einen Mann so interessiert wie für ihn.«
Leos Stimme wurde hart. »Ich habe nicht vor, meine
Wachsamkeit aufzugeben, wenn es um euch beide geht. Wir haben, zu meinem immerwährenden Bedauern, zugelassen, dass Delia uns in Sicherheit und Nachlässigkeit wiegte.«
Cassie schnaubte. »Du bist der Einzige, der es bedauert. Sie ist das Glück in Person.«
»Nur weil sie mehr Glück als Verstand hatte.«
Leo kniff die Augen zusammen.
»Ich werde dich Tag und Nacht überwachen, wenn nötig. Eine Schwester mag sich in einen Skandal verstrickt haben, aber ich lasse nicht zu, dass es noch mal passiert.«
»Das ist nicht deine Entscheidung«, zischte Cassie. »Nicht dein Leben.«
»Es ist meine Pflicht.« Ein bigotter Ton schwang in Leos Stimme.
Vielleicht war eine Kugel noch zu schade für ihn.
Reggie räusperte sich. »Ich weiß, dass mich Ihr Gespräch nichts angeht - obwohl ich hinsichtlich dessen, was Sie beide da flüstern, eine beträchtliche Neugier einräumen muss -, aber ich schlage vor, dass Sie ein andermal weitersprechen und wir nun zu den anderen zurückkehren. Falls Sie tatsächlich so ausgehungert sind, Effington, wie Sie sagen.«
»Ja, natürlich.« Leo warf Reggie ein erleichtertes Lächeln zu, ein Lächeln, das eine Verwandtschaft und Gemeinsamkeit zwischen Männern bekräftigte, die Frauen einfach nicht nachvollziehen konnten.
Vielleicht würde sie dazu übergehen, künftig eine Pistole bei sich zu tragen.
»Wir unterhalten uns später noch, Leo.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte um die Bäume herum zu den wartenden Pferden.
Sie war sich zwar sicher, dass Sie auch früher schon einmal eine Wut auf Leo geschoben hatte, im Moment aber konnte sie sich nicht mehr erinnern, wann das gewesen war. Warum konnten ihre Brüder einfach nicht begreifen, dass sie durchaus in der Lage war, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen? Schließlich war sie vierundzwanzig, und wenn sie beschloss, einen Skandal zu riskieren oder sich in den Ruin zu stürzen, oder aber die Schicklichkeit in Person war, so sollte das doch wohl ihr Entschluss sein und nicht der ihrer Brüder. Manchmal war es schon sehr frustrierend, eine Frau zu sein. Zumal dann, wenn man keine Pistole hatte.
Cassie war bei ihrem Reittier angelangt, und sowohl Reggie als auch Leo traten näher, um ihr beim Aufsteigen zu helfen. Sie warf ihrem Bruder einen vernichtenden Blick zu. Er erwiderte ihn mit dünnem Lächeln und trat gehorsam beiseite.
Reggie half ihr auf so schickliche Weise in den Sattel, dass auch der wachsamste aller Brüder nichts daran aussetzen konnte. Denn seine Hände verirrten sich keinen Zentimeter über die Taille hinaus, noch verweilten sie dort einen Moment länger als nötig. Und das alles hätte ihre Entschiedenheit, ihrem Bruder körperlichen Schaden zuzufügen, wohl nur noch verstärkt, wäre da nicht der Ausdruck in Reggies Augen gewesen. Zweifellos genau der, der ihren Bruder so besorgt machte. Und auch der, der
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