Flammende Sehnsucht
Augenblicks ebenso gefangen genommen wie sie?
Er warf ihr ein bedauerndes Lächeln zu und wandte sich dem Eindringling zu. »Miss Bellingham, Sie sehen ja heute Abend ganz bezaubernd aus.«
»Sie sind zu freundlich, Mylord.« Miss Bellingham richtete ihre großen, unschuldigen, veilchenblauen Augen auf Cassie. »Ich habe Sie doch hoffentlich nicht unterbrochen?«
»Überhaupt nicht.«
Cassie zwang sich zu einem liebenswürdigen Lächeln.
»Wir erörterten nur den ... Reiz der Vollkommenheit.«
»Ach wirklich? Wie fesselnd!« Miss Bellingham wandte sich von ihr ab und blickte zu Reggie auf. »Davon müssen Sie mir mehr erzählen.«
»Ich wäre entzückt«, erwiderte er mit etwas zu großer Begeisterung. Nun, sie blieb mehr oder wenig unterschwellig, wahrscheinlich hatte nur Cassie sie bemerkt, aber sie war eindeutig vorhanden.
»Hat nicht der heilige Augustinus gesagt, dass die Vollkommenheit eines Mannes darin bestehe, seine eigene Unvollkommenheit zu entdecken?«, meinte Miss Bellingham und klimperte mit den Wimpern.
»Doch ja, ich glaube schon.« Reggie lächelte entzückt. »Sehr gut, Miss Bellingham.«
»Wie bezaubernd belesen Sie doch sind«, warf Cassie leise ein.
»Und, lassen Sie mich nachdenken, mir fällt noch etwas ein. Wie war das gleich wieder?« Reggie hielt einen Augenblick inne. »Ah ja: >Der Mensch ist sein eigener Leitstern, und die Seele, welche einen ehrlichen und vollkommenen Menschen hervorzubringen versteht, gebietet über alles Licht, allen Einfluss ...<«
»Alles Schicksale« Miss Bellingham lächelte selbstgefällig. »John Fletcher, glaube ich.«
»Ausgezeichnet, Miss Bellingham, wirklich sehr beein-
druckend.« Reggie betrachtete sie mit offensichtlicher Bewunderung.
Cassie hätte ihm am liebsten eine heruntergehauen.
Miss Bellingham wandte sich mit erwartungsvoller Miene an Cassie. »Miss Effington?«
»Ja?«
»Bestimmt haben auch Sie ein relevantes Zitat zu dieser Diskussion beizusteuern?« Miss Bellingham musterte sie unschuldig.
Cassie zuckte unbekümmert die Achseln. »Ich muss gestehen, dass mir momentan nichts dazu einfällt.«
»Miss Effington ist eine große Shakespeare-Kennerin«, meinte Reggie loyal.
Kennerin? Cassie zwang sich zu einem bescheidenen Lächeln. »Ich weiß nicht, ob ich Kennerschaft für mich in Anspruch nehmen würde; ich bin keine Gelehrte, aber ich mag Shakespeare.«
»Wie wir alle.« Miss Bellingham warf ihr einen honigsüßen Blick zu. »Und er hatte doch sicher etwas dazu zu sagen?«
»Er hatte fast zu allem etwas zu sagen.« Cassies ebenso süßes Lächeln strafte ihre verzweifelte Suche nach einem Zitatfetzen, irgendeinem, der nicht völlig blödsinnig klang, Lügen. Warum hatte sie nicht wenigstens ein bisschen von Delias Interesse an Literatur? »Lassen Sie mich ...«
»Sagte er nicht >Schweigen ist der vollkommenste Herold der Freude«, ertönte da eine Stimme hinter ihr.
Cassie wandte sich erleichtert um.
»>Ich wäre nur wenig glücklich, wenn ich sagen könnte, wie sehr ich’s bin.<« Mr. Drummond lächelte auf sie herab.
»Aus Viel Lärm um Nichts. Das einzige Zitat von Shakespeare, das meines Wissens von Vollkommenheit handelt, und im Grunde ist es schon etwas dunkel. Weswegen man es sich wohl auch nur schwer merken kann.«
»Genau.« Cassie strahlte zu ihm hinauf.
»Natürlich«, murmelte Reggie.
»Verzeihen Sie mir meine Einmischung, aber auch ich habe eine ausgesprochene Schwäche für Shakespeare«, sagte Mr. Drummond.
»Wie wir alle«, wiederholte Miss Bellingham, und ihr Lächeln war schon eine Nuance ungezuckerter.
»Ich habe mich gefragt, Miss Effington, ob ich Sie nicht zum Dinner hineinbegleiten könnte.« Mr. Drummond lächelte sein vollkommenes Lächeln. »Ich gestehe, dass ich förmlich darauf brenne, zu erfahren, ob das, was mir Ihr Bruder sonst noch über Sie erzählt hat, ebenfalls zutrifft.«
»Hat er sie vielleicht als exzentrisch bezeichnet?«, platzte Reggie heraus.
»Aber nein.« Mr. Drummond schüttelte den Kopf. »Er meinte, sie sei erstaunlich klug.«
»Hat er das gesagt? Das überrascht mich nun aber.« Cassie lachte. »Meine Brüder neigen sonst eher zur Kritik.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, was sie an Ihnen kritisieren könnten«, meinte Mr. Drummond entschieden und reichte ihr seinen Arm. »Wollen wir?«
»Ich würde doch annehmen, dass Lady Pennington die Einhaltung einer gewissen Ordnung für wünschenswert hielte«, meinte Reggie rasch. »Gesellschaftlicher Vorrang und so
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