Flammenpferd
erledigt hatte. Der Lastwagen war fort. Hella hatte sich davon überzeugt, dass der Wagen nicht abgefahren war, ohne die beiden Schimmel mitzunehmen. Swantje hielt sich abseits am Ende der Stallgasse auf. Hella vermied jeden Blick zu ihr. Sie fühlte eine brodelnde Wut auf die Studentin, die sie auf so perfide Weise mit dem Leid eines Tieres erpresste.
„Da kommt Evelin!“, rief Yvonne und beeilte sich, die junge Frau, die verwundert näher schritt, über den neuen Pensionsgast aufzuklären. „Wenn du gesehen hättest, wie er getobt hat, als er aus dem Transporter heraus war.“
„Mit wilden Pferden kenne ich mich aus“, sagte Evelin schmunzelnd, die mit ihrer Zamira so manche aufregende Stunde verlebt hatte. Die Araberstute konnte gezielt beißen und treten, wenn ihr etwas nicht passte.
„Gegen den Hengst ist deine Zamira ein Kinderpony“, sagte Maren laut und zischte Hella zu: „Du solltest das Pferd zum Teufel jagen. Und die Zicke dort gleich hinterher.“
Marens ungeschickte Bevormundung kam Hella gerade recht, um Wut abzulassen. „Die Entscheidung, welches Pferd auf meinen Hof steht, darfst du getrost mir überlassen. Jetzt ist er da, und wir werden damit klar kommen.“
Maren schluckte und schwieg.
Johansen kehrte zurück, mit einer aufgezogenen Spritze in einen und einem zusammengeklappten Tragekorb voller nützlicher Utensilien in der anderen Hand. „Das Pferd ist völlig aus dem seelischen Gleichgewicht. Ich werde ihn sedieren. Sonst wird er uns kaum an den Kopf heran lassen.“
Fadista war hungrig, aber zu aufgeregt zum Fressen. Er schnappte nach den Halmen und kreiselte unruhig durch die Box. Dabei schleppte er die Longen durch das Stroh und stand kurz davor, sich in den Leinen zu verheddern. Bei einer der Runden entdeckte er die Selbsttränke und tauchte sein Maul in die Wasserpfütze. Als er gegen die Metallzunge stieß und das Wasser zischend nach floss, scheute er zurück.
„Das Tränken könnte Ihre Chance sein“, sagte Sten Johansen.
Hella verstand und nickte.
Fadista stieß warnend die Luft durch die Nüstern, als Hella und Johansen die Box betraten und nach den Longen griffen. Immer wieder erhob der Hengst sich auf den Hinterbeinen und forderte Johansens ganze Geschicklichkeit und Erfahrung als Tierarzt heraus. Auf der Stallgasse fiel kein Wort mehr. Alle sahen gespannt Johansens Versuchen zu, die Spritze mit dem Betäubungsmittel anzusetzen, ohne den schlagenden Hufen in die Quere zu kommen. Hella unterstützte ihn, so gut sie konnte. Es wäre lebensgefährlich gewesen, wenn der Hengst sich mit Hufen und Zähnen gewehrt hätte. Aber er versuchte nur, den Menschen auszuweichen und sich zu entziehen. Der Tierarzt blieb besonnen und sehr geduldig. Schließlich erreichte er sein Ziel. Das Betäubungsmittel wirkte schnell. Nach wenigen Minuten hielt der Hengst friedlich inne und ließ sich am Kopf berühren. Vorsorglich schob Hella dem Pferd das Halfter um den Hals und öffnete die Schnallen des Kappzaums. Johansen half ihr, das schwere Ledergestell vom Kopf zu heben. Beide bewegten sich langsam und vorsichtig. Trotz der Sedierung wollten sie dem Hengst jede weitere Aufregung ersparen. Die anderen hatten schweigend zugesehen. Als der Nasenrücken frei lag, konnten sie ihre Empörung nicht zurückhalten. Alte Narben, eitrige Wunden und frische blutige Risse bedeckten dicht an dicht die wenigen Quadratzentimeter der geschwollenen Haut, in die sich die mit Eisenzacken bewehrte Unterseite des Nasenbügels eingegraben hatte.
„Das Ding fliegt umgehend in den Müll“, erklärte Hella und übergab die Serreta an Maren, die sie mit spitzen Fingern entgegen nahm.
Die strengen Falten auf Johansens kantiger Stirn verrieten, was er davon hielt. „So mit einem Tier umzugehen, das lässt sich nicht einmal mit größter Hilflosigkeit entschuldigen.“
Hella dachte an Uschi Klinghöfer und deren hohe Ansprüche im Umgang mit Pferden. Gegenüber Fadista hatte Uschis Verantwortungsgefühl kläglich versagt. Hella kam ein Sprichwort in den Sinn: vom Regen in die Traufe. Und wie würde es weitergehen? Swantje hatte bisher mit nichts Schwierigerem zu tun gehabt als mit einem missgelaunten Schulpferd. Sie wäre hoffnungslos überfordert, auch wenn sich Fadista im Augenblick wie ein Lamm gab. Die Betäubung machte ihn so benommen, er konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Johansen widmete sich dem lädierten Nasenrücken und säuberte konzentriert und gründlich die Wunden. Durch den ständigen
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