Flammenpferd
Lederhalfter. Der Nasenrücken war dick mit einer weißen Paste eingeschmiert. Sie blieben eine Weile vor seiner Box stehen, und als Hella von Fadistas Schicksal erzählte, hörte Kati Schritte im Rücken und wandte sich um. Eine stämmige Frau mit wuscheligen Haaren und einem rundlichen Gesicht kam ihnen entgegen. Die Beine ihres Overalls steckten in kniehohen Gummistiefeln. Gegen die Kälte trug sie eine grobe Jacke.
„Morgen, Hella! So früh schon Besuch?“, rief sie von weitem und musterte Kati im Näherkommen neugierig.
„Hallo, Maren“, sagte Hella. „Das ist Jana. Sie hat mir beim Füttern geholfen. Die Stallarbeit kennt sie durch den Reitstall ihres Internats.“
„Dann könnte sie bei uns anfangen“, sagte Maren ein wenig spöttisch „Wir sind zwar kein Internat, aber Stallarbeit gibt’s mehr als genug.“
„Einverstanden“, rief Kati. „Ich suche sowieso einen Job!“
Hella schüttelte den Kopf. „Das hier ist kein Streichelzoo. Die Pferde wollen rund um die Uhr versorgt werden, auch an den Wochenenden. Das ist Knochenarbeit. Ehrlich gesagt, traue ich dir das nicht zu.“
Kati blickte ihr fest in die Augen. „Ich bin im vergangenen Sommer einen Marathon gelaufen. Das haben mir die Konkurrenten auch nicht zugetraut. Bis ich einen Hobbyläufer nach dem anderen hinter mir gelassen habe.“
Hella lächelte versöhnlich. „Also gut, versuchen wir es. Eine Woche auf Probe, und wir werden sehen, ob du auch zu einem Stallmarathon in der Lage bist.“
17
Hella hatte Kati im ersten Stock einen engen und sparsam möblierten Raum, ihr früheres Kinderzimmer, zugewiesen. Anstatt sich in der zweistündigen Mittagspause auszuruhen, schlich Kati auf Strümpfen aus dem Haus. Es fiel nicht weiter auf, wenn sie im Lauf des Tages mehrmals an Fadistas Box vorbei schlenderte, aber sich gegen Hellas Anweisung länger bei ihm aufzuhalten, hätte nicht zur Rolle der braven Jana gepasst. Doch die Sehnsucht war beständig, und um in seiner Nähe zu sein, wollte sie nachsehen, ob sich nicht ein verborgener Beobachtungsposten finden ließ. Sie schaute sich wachsam um, als sie über den Hof lief, und gelangte unbemerkt zum Paddockstall, einem ganz in Holz gebauten und luftigen Stalltrakt. Auf jeder Seite lagen fünf Boxen, und jeder Box schloss sich ein Paddock an. Eine Stallseite war dem nahen Wohngebiet zugewandt. Die Paddocks auf der anderen Seite grenzten an die Zufahrt zur Scheune. Fadista war in der ersten Abteilung dieser Seite untergebracht. Tagsüber stand er allein. Seine Stallkameraden Melody, Jackson und Zamira verbrachten die Tage gemeinsam mit den anderen Pferden auf den großen Winterausläufen.
Geduckt lief Kati zum Scheunentor. Darin war eine Pforte eingelassen, die sich erst mit einem kräftigen Schubs öffnen ließ. Die Scheune besaß nur wenige Fenster, und durch zerbrochene Dachziegel und zerstörte Wandgefache schien die Sonne in schmalen Kegeln hinein und schuf ein Zwielicht aus Licht und Schatten. Auf dem breiten Quergang in der Mitte standen ein Traktor und ein Ladewagen eng hintereinander. Rechts davon lagerten mächtige Rundballen aus Stroh überein-ander, und Kati musste den Kopf weit in den Nacken legen, um an der Mauer aus Stroh bis unter das Dach zu blicken. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, wie schwierig es sein mochte, die Rundballen in dieser Enge mit dem Frontlader aufzutürmen, und wendete den Blick zur anderen Hälfte der Scheune, die in zwei Etagen geteilt war. Im unteren Bereich waren ein rostiger Trecker und verschiedene Maschinen untergebracht, von deren Verwendungszweck Kati keine Vorstellung hatte. Vielmehr interessierte sie der Holzboden darüber, zu dem eine steile Leiter hinauf führte. Mit flinken Tritten kletterte sie die Sprossen hoch. Auf den Bohlen lag eine dicke Matratze aus altem Stroh, und vor der Wand stapelten sich handliche Bunde. Es roch nach Staub und Heu, als sie über die federnde Matte zu der Scheunenwand schritt, hinter der die Paddocks lagen. Aus einigen Fächern war der Lehmputz heraus gebröckelt, und durch das Geflecht aus Weidenstecken konnte man ungehindert hinaus spähen. Bald hatte sie den idealen Ausguck gefunden und schaute unmittelbar auf Fadistas breiten Rücken hinab. Er stand genau unter ihr am hinteren Ende des Paddocks und döste mit hängendem Kopf. Wenn sie sich ein wenig bückte, konnte sie sogar in die Box hinein sehen, die im Schatten der grauen Regenwolken lag, die sich seit dem späten Vormittag am Himmel
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