Flammenpferd
Lücke zwischen Rückbank und Beifahrersitz. Ihre Hand ruderte verzweifelt unter dem Sitz herum und stieß gegen etwas Hartes. Etwas Metallenes. Sie packte fester zu. Als sie wieder auftauchte, hielt sie eine Pistole in der Hand. Jan ließ ihre Haare los und zog sich auf seinen Sitz zurück.
Er murmelte einen Fluch und ärgerte sich vermutlich über diese Nachlässigkeit. Dann lächelte er. Es sollte vermutlich herablassend wirken, geriet aber nicht überzeugend. „Leg die Pistole weg. Das ist kein Spielzeug für kleine Mädchen.“
Sie nahm den Pistolengriff fest in beide Hände, wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte. Damit du nicht aus Versehen ein Unheil anrichtest, hatte der Vater erklärt, und ihr seine Polizistenwaffe in die Hand gegeben, als sie noch ein Kind war. Mehrmals hatte er sie mit auf den Schießstand genommen. Das war in der Zeit, als er noch davon ausging, sie wäre seine leibliche Tochter, und sie gern um sich hatte. Er war sehr stolz darauf gewesen, wie kühn die Elfjährige mit der Waffe hantierte. Und vor allem darauf, wie gut sie traf.
Jan betrachtete ihr Tun missbilligend und mit steigender Beunruhigung. Sein rechtes Augenlid zuckte. „Die Waffe ist nicht geladen. Leg sie weg.“
Er log, was sie durchaus verstehen konnte. Sie wusste es besser. Der kleine Messingstift, der aus dem schwarzen Metall hervor lugte, zeigte ihr, dass eine Patrone im Lauf war. Sie brauchte nicht einmal durchzuladen.
„Überlasst mir Fadista!“ Ihre Stimme klang bemerkenswert fest.
„Du blödes Gör. Ich dreh dir den Hals um. Gib mir die Waffe!“
Mit dem Daumen schob sie den Sicherungsbügel vor.
Er starrte sie überrascht an und murmelte ohne rechte Überzeugung: „Das tust du nicht! Du bist zu feige!“
Mit plötzlicher Entschlossenheit wollte er sich auf sie werfen.
Sie war nicht feige. Nicht Kati. Sie drückte ab.
Der Schuss war so laut, dass es schmerzte. Der Rückstoß trieb ihre Hände nach oben. Einige Atemzüge lang musste sie befürchten, ihn verfehlt zu haben, was auf die Entfernung von einer Armlänge kaum möglich war. Er saß stocksteif da und starrte sie aus aufgerissenen Augen an. Sagte nichts. Stöhnte nicht. Dann endlich kippte der Kopf zur Seite. Der Rücken krümmte sich, er sackte kopfüber auf den Beifahrersitz und begrub den Rucksack unter sich.
Sie wartete. Es dauerte lange, bis sie auf den Fahrersitz kletterte. Ängstlich bemüht, den Mann nicht zu berühren, drückte sie die Tür auf. Sie fiel auf die Knie und landete mit den Händen im nassen Laub. Sie rappelte sich auf und quälte sich damit ab, den Rucksack unter ihm hervor zu zerren. Er lag wie ein Klotz darauf, und der Rucksack war mit Blut besudelt, als sie ihn endlich befreit hatte. Dieses Mal würde sie beide Flaschen opfern. Auch wenn im Tank genügend Benzin sein mochte – sie wollte sicher gehen. Großzügig verteilte sie das Benzin auf dem Rücksitz, auf dem Fahrersitz und auf dem Körper, von dem sie sich nicht sicher war, ob er wirklich tot war. Gleich würde er es sein. Sie zog ihr Feuerzeug unter der Jacke hervor, entflammte ein Büschel trockener Gräser und warf sie durch das offene Fenster auf den Rücksitz. Sie spurtete ein Stück in den Wald hinein und betrachtete das Schauspiel aus sicherer Entfernung. Die Flammen wuchsen schnell. Bald schlugen sie hoch aus der Fensteröffnung heraus.
Die Explosion war gewaltig. Später ging sie so nah heran, wie sie es ertragen konnte. Die nasse Jeans schien zu dampfen. Mit jeder Pore ihres Körpers sog Kati die Hitze ein. Bevor alles vorbei war, warf sie die Pistole ins Feuer.
34
Das Cabrio stand quer auf dem Fußweg, und die grün schimmernde Schnauze hatte den Versuch, sich durch die mannshohe Mauer hindurch zu schieben, mit schweren Blessuren bezahlt. Die Front war in ganzer Breite zerbeult. Ein zerschlagener Scheinwerfer glotzte anklagend in die Regenwolken, und die Motorhaube bog sich mit einem scharfen Knick nach oben. Es war Hellas erster Unfall. Sie hatte keine Erfahrung mit Blechschäden, aber dass hier nichts mehr auszubeulen war, erkannte auch sie und musste dem betrübten jungen Mann zustimmen. Der Wagen war Schrott.
Seine Freundin hing weniger an der Technik. „Gott sei dank ist Ihnen nichts passiert! Seien Sie froh!“
„Sicher“, murmelte Hella. „Sicher bin ich froh!“
Ihre Knie zitterten. Am liebsten hätte sie sich auf das nasse Pflaster gehockt. Immer mehr Leute kamen dazu. Hella fühlte sich von allen Seiten begafft. Es entstand
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