Flammentod
bißchen Zeit, um mich umzusehen. Wohnhäuser, teilweise regelrechte kleine Mietsilos, daneben eine Tankstelle, ein Pizzaservice, vor dem aufgereiht drei kleine Autos mit offener Heckklappe warteten, dazwischen ältere Häuser, manche mit Gartenzäunen. Vielleicht war es hier einmal idyllisch gewesen; jetzt brummte der Schwerverkehr vorbei. Wie sich die Leute in den Häusern wohl fühlten? Ob sie Lust verspürten, einen Bauunternehmer umzubringen? Vor allem, wenn er Straßen baute?
Als es weiterging, tauchte auf der rechten Seite ein langer Block mit Geschäften auf. Links gab es am Rande eines Parkplatzes eine gigantische Imbißbude - ein Vieleck aus Holz, das sich »Grillhütte« nannte. Davor ein paar Stehtische, an denen Leute in leicht gebückter Haltung irgend etwas in sich hineinschaufelten.
Ich mußte der Straße weiter folgen. Nach dem Parkplatz mit der Grillhütte zeigte sich etwas grüner Rasen, dahinter zurückgesetzt ein niedriges altes Gebäude mit rundem, spitz bedachtem Turm, das wie der Rest einer kleinen Burg oder einer Hofanlage wirkte. Kurz darauf fingen die kastenförmigen Silos wieder an, dazwischen lagen ein Autohaus und andere Geschäfte.
Ich bog noch um ein paar Ecken, dann tauchte Beckers Laden auf. Er war nicht zu übersehen. Jemand hatte mitten in die Wohngegend eine Art Gartenhaus gebaut, vor dem sich Kisten mit Obst und Gemüse stapelten. Das Ding erinnerte an eine der Almhütten, wie sie auf Ansichtspostkarten aus den Alpen abgebildet waren. Nach Refrath paßte die Hütte wie eine Kokospalme auf den Nordpol. »Beckers Obstkiste« stand in großer Schreibschrift auf einem weißen Schild.
Mittlerweile war es nach zwölf, und ich war früh aufgestanden. Vielleicht konnte ich mir ja ein paar Äpfel zum Mittagessen gönnen - obwohl mir mehr nach einem Erzeugnis aus der Grillhütte der Sinn stand.
Zum Glück fand ich gleich einen Parkplatz. Mir fiel ein, daß ich nachher unbedingt nach dem Öl schauen mußte. Die erste Flasche von den beiden, die ich an der Tankstelle erstanden hatte, war zum Nachfüllen draufgegangen. Von der zweiten war noch ein halber Liter übrig. Ich war gespannt, wieviel ich von dem Schmierstoff schon auf den Straßen dieser Stadt verteilt hatte. Jetzt ging aber erst mal der Job vor. Ich überquerte die Straße im Laufschritt zwischen dem rollenden Verkehr und enterte Beckers Laden.
An dem langen Tresen, hinter dem sich weitere Kisten mit verschiedenen Obstsorten befanden, stand ein Mann. Er hatte schwarzes, krauses Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte und das sich in großen Geheimratsecken bereits zu lichten begann. Er war schlecht rasiert und trug ein großkariertes Hemd, darüber eine blaue Schürze. Aus den Akten wußte ich, daß Becker achtundvierzig Jahre alt war. Er wirkte deutlich älter. Als er mich sah, kam er langsam herübergeschlurft.
Er sagte nichts, sondern blickte mich nur fragend an. Kein anderer Kunde war zu sehen.
»Rott«, stellte ich mich vor. »Ich komme von Rechtsanwalt Vogt.«
Becker behielt seine ausdruckslose Miene. Er wirkte nicht wie ein Ladeninhaber, sondern mehr wie ein fauler Azubi im fünfzigsten Lehrjahr. Ich versuchte mir vorzustellen, wie dieser Mann einen Polizisten verprügelte oder einen Bauunternehmer würgte. Es gelang mir nicht. Außerdem - ich hatte vielleicht nicht gerade erwartet, daß er mir gleich um den Hals fallen würde, aber ein bißchen mehr Begeisterung wäre bei meiner Ankunft schon angebracht gewesen. Immerhin war ich gekommen, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
»Waren Sie schon in Bensberg?« fragte er müde.
»Ich komme gerade von dort und würde jetzt gern kurz mit Ihnen reden.«
»Ruth, kannst du mal eben herkommen?« rief er in den hinteren Bereich des Ladens. Eine Frau im Rollstuhl kam herein. Sie war deutlich jünger als Becker.
»Das ist Herr Rott. Wir gehen nach hinten, um uns zu unterhalten. Kannst du eine Weile im Laden bleiben?«
Die Frau sah mich an und sagte nichts. Dann wandte sie sich wieder an ihren Mann. »Ich ruf dich, wenn jemand kommt«, sagte sie.
»Sie kann die Kisten nicht heben, und sie kommt an die oberen Regale nicht ran«, erklärte Becker. »Kommen Sie, hier hinten können wir in Ruhe reden.«
Becker ging vor, und ich folgte ihm. Er schien es nicht eilig zu haben.
Der Raum war klein, aber ganz gemütlich. Es gab eine kleine Eckbank, wie sie meine Mutter in der Küche gehabt hatte. Auf der anderen Seite stapelten sich Papiere und Aktenordner auf einem
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