Flammentod
Hexe.
»Arme Frau«, stellte Jutta fest, und es klang, als hätte ich von einer gemeinsamen Bekannten gesprochen.
»Na ja, die hat es schon fast vierhundert Jahre hinter sich. Anderen geht es jetzt dreckig. Becker zum Beispiel. Er ist heute morgen verhaftet worden und sitzt in U-Haft.«
Jutta machte große Augen. »Und das sagst du mir jetzt erst?«
»Du hast mich ja nicht zu Wort kommen lassen.«
Ich erzählte, wie es zu Beckers Festnahme gekommen war. Jutta bog plötzlich in eine schmale Gasse zwischen zwei Geschäften ab. Sie schien sich hier auszukennen.
»Wo willst du hin?« fragte ich.
Sie winkte mit dem Blumenstrauß. »Wirst du schon sehen. Ich sagte doch, wir haben noch was zu tun.«
Wir kamen auf einen Parkplatz, der bis zum Rand mit Autos vollgestellt war. In der Mitte stand ein schmuckes kleines Fachwerkhaus - ein Relikt aus einer anderen Zeit. Dahinter erstreckten sich die bunten Autodächer auf einer Fläche, auf die locker ein Fußballplatz gepaßt hätte. Obwohl es hoffnungslos war, suchten immer noch ein paar Optimisten eine Parkgelegenheit. Immer wieder mußten wir Autos ausweichen, die sich im Schrittempo vorbeiquetschten.
Wir erreichten die Stirnseite des Parkplatzes. Dort erhob sich ein wuchtiges Gebäude; es war altmodisch und düster. Davor wies ein großformatiges Schild auf die Firmen hin, die sich offenbar darin befanden. Darunter war auch ein Studio für Rückentraining.
»Also«, sagte Jutta. »Ich habe mir von Angelika alles erklären lassen. Da oben geht sie trainieren. Vorne gibt es eine Rezeption. Auf dem Tisch der Rezeption gibt es einen Kalender, in den die Termine eingetragen werden. Alles klar?«
»Klar. Ich hasse zwar solche Etablissements, aber was soll’s.« Ich machte mich auf den Weg. Jutta bremste mich.
»Moment, Moment. Es gibt noch eine zweite Sache. Hinter der Rezeption steht ein großes Schubfach aus Metall, in dem die Besucher und Besucherinnen ihre Trainingsverläufe aufbewahren. Das sind große Karteikarten, auf dem die einzelnen Trainingsprogramme mit den jeweiligen Geräten verzeichnet sind. Jeder muß eintragen, wann er welche Übungen gemacht hat und mit wieviel Pfund Gewicht und so weiter. Um sicherzugehen, daß Angelika hier war, sehen wir uns beides an. Was hältst du davon?«
Ich schüttelte den Kopf. »Du glaubst, wir können da reinspazieren und uns die Unterlagen ansehen? Gibt’s da keinen, der aufpaßt?«
»Bestimmt. Aber manchmal ist nur ein Mitarbeiter da, und er muß sich noch um die Besucher kümmern, die Anleitung brauchen. Er befindet sich also nicht ständig an der Rezeption, klar?«
»Wieder klar. Aber woher weißt du das alles?«
»Ich habe schon bei meinem ersten Besuch im Hexenladen mitbekommen, daß Angelika hierherkommt. Und heute habe ich mich ein bißchen dumm gestellt. Habe behauptet, ich wollte schon immer mal ein bißchen Krafttraining machen, aber man traut sich ja nicht - wegen der vielen Machos, die einem beim Gewichtestemmen ständig auf die Beine starren und so weiter. Angelika hat mir das Studio hier empfohlen, und da habe ich mich ganz naiv erkundigt, wie das so läuft. Schon wußte ich alles über die Termine, die Karteikarten und so weiter und so fort.
»Es gibt aber ein Problem.«
»Was ist denn nun noch?«
»Was machen wir, wenn Angelika Diepeschrath gerade da drin ist?«
»Ist sie schon nicht. Also - gehen wir.«
Eine Glastür führte ins Treppenhaus mit Marmorstufen und einem ebenfalls gläsernen Aufzug in der Mitte. Der hallige Eingangsbereich wurde mit leiser Musik veredelt. Ich hörte irgendwas Klassisches - wahrscheinlich ein automatischer Dauerbetrieb von CD.
»Das Gebäude war mal eine Schule«, sagte Jutta und drückte auf den Knopf, so daß sich die Fahrstuhltür öffnete. »Das hat mir Angelika auch erzählt. Sie ist hier zur Schule gegangen. Vor ein paar Jahren wurde das Gebäude verkauft und renoviert.«
»Ist mir schon klar, daß Gebäude eine negative Aura haben. Erst sind sie eine Schule, dann eine Folterkammer für Bodybuilder. Hängt ja alles dicht zusammen. Es gibt eben keine Zufälle im Leben.«
»Du verstehst aber auch gar nichts. Hier wird kein Bodybuilding gemacht, sondern Rückentraining. Gesundes Krafttraining. Das hat noch nicht mal was mit Leistungssport zu tun. Und es würde dir auch nicht schaden. Tu mal was gegen deine Rückenschmerzen.«
»Hab ich keine«, sagte ich. Die Kabine ging auf, und wir standen wieder vor Glas. Dahinter lag das Studio. In schrägen Reihen
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