Flammenzorn
hörte sie ihn einen Rosenkranz beten, und sie empfand einen Anflug von Reue, gefangen im Leib des Geistlichen. Sie konnte sich nicht rühren, konnte nicht atmen ... nur zusehen.
»Wir müssen damit aufhören«, sagte die Frau. »Mein Mann wird schon misstrauisch.«
Anya spürte, wie der Geistliche nach der Frau griff. Seine Finger fuhren in ihr perfekt frisiertes Haar, und seine Lippen pressten sich auf die der Frau. Langsam, zögernd, gab sie nach und schlang die Arme um seinen Hals, doch Augenblicke später wich sie zurück, und ihre Augen blickten dunkel und verwirrt.
»Wir werden vorsichtiger sein«, versprach der Priester und tastete nach ihrer Hand.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das muss aufhören. Es macht ihn noch kaputt.«
»Was wäre, wenn ich die Kirche verlasse?«, fragte er plötzlich und erkennbar verzweifelt. »Was ...«
Sie hob den Kopf und schaute ihn an. »Ich kann ihn nicht verlassen. Und ich will auch nicht dabei zusehen, wie er kaputtgeht.« Sie erhob sich und befreite sich vom Griff des Priesters an ihrem Handgelenk. Für einen Moment legte sie mitfühlend die Hand an seine Wange. Dann ging sie langsam den Mittelgang hinauf.
Der Priester blieb allein in der Kirchenbank zurück, bestürzt und schweigend. Anya fühlte die Sinnlosigkeit seiner Sehnsucht, die Einsamkeit, die sich in ihm einnistete wie ein Fieber. Er lehnte den Kopf auf die Ablage vor der Bank, doch er konnte seine Hände nicht zum Gebet falten. Jedes Mal, wenn er es versuchte, weigerten sich seine Finger, passend ineinanderzugleiten, stießen einander geradezu ab wie gleichnamige magnetische Pole. Es gab keine Gebete, die ihn aus seiner Lage hätten erlösen können, und Anya spürte das säuerliche Aroma dieser Besessenheit in seiner Kehle emporsteigen. Er konnte nicht ohne sie leben.
Und er würde nicht ohne sie leben. Der Priester stolperte aus der Kirchenbank heraus zu den Korridoren im hinteren Teil des Gebäudes und in sein Büro. Anya fühlte die Galle in ihm aufsteigen, den Zorn und die Verzweiflung, während er seine Schreibtischschublade durchwühlte. Seine Finger schlossen sich um die kalten Klingen einer Schere.
Anya versuchte, ihm zuzubrüllen, er solle aufhören, aber ihre Worte waren so flüchtig wie ihre Präsenz. Sie war gezwungen, hilflos dabei zuzusehen, wie der Priester sich mit der Schere die Pulsadern öffnete. Erst dann gelang es ihm, die Hände über dem Schreibtisch zum Gebet zu falten. Blut lief kreisförmig um seine Arme wie ein roter Rosenkranz. Ein düsteres Gelächter entrang sich seiner Brust und verteilte sich in der Luft wie Kondenswasser.
Nun erst wurde ihr klar, dass dieser Traum, der gemächlich die Leerstellen in der Geschichte des Geistes von St. Florian ausfüllte, nicht ihrer eigenen Fantasie entsprang.
Dies war eine von Mimis Erinnerungen, eine ihrer kostbarsten Erinnerungen: Die Erinnerung daran, wie sie den Priester in den Selbstmord getrieben hatte.
KAPITEL FUNFZEHN
Als Anya erwachte, waren die Sonnenstrahlen weitergezogen, doch sie konnte ihre Wärme noch immer im Gesicht spüren. Die Sonne versteckte sich hinter den Gebäuden im Westen und hatte einen violetten Himmel, überzogen mit Wolkenfetzen, zurückgelassen. Anya streckte sich im Halbdunkel. Sparky, von der Bewegung aufgeschreckt, legte die Pfoten über die Augen. Anya rieb ihm kräftig den Bauch, bis er richtig wach war und sich auf ihrem Schoß ausstreckte.
Renee saß, wie versprochen, noch immer am Fenster, die Arme um die Knie geschlungen. »Du hast im Schlaf gesprochen«, sagte sie.
Anya rieb sich die Augen, und die Erinnerung an den Traum von dem Geistlichen kam allmählich wieder. »Was habe ich gesagt?«
»Es hat sich angehört wie eine katholische Messe ... auf Latein.«
Es klopfte an der Tür, die gleich darauf knarrend geöffnet wurde. Katie steckte den Kopf herein. »Anya, wir sind jetzt bereit.«
Anya schwang die Beine aus dem Bett. »Kann ich vorher noch auf Toilette gehen?«
Katie nickte. »Ich warte an der Treppe auf dich.«
Anya ging in das kleine Badezimmer auf der anderen Seite des Gangs. Dort wusch sie sich die Hände und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht, während Sparky sie am Boden umkreiste. Sie konnte Mimi fest zusammengeknäult in ihrem Bauch spüren, wie eine Schlange im Korb, die nur darauf wartete, zuzuschlagen, sobald der Deckel abgenommen wurde. Der Dämon wusste, dass das Spiel in vollem Gange war, und wartete auf eine passende Gelegenheit.
Anya band sich das Haar
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