Flammenzorn
und die Glöckchen am Saum ihrer Kleidung klimperten mit jedem Hüftschwung. Die Glöckchen waren dazu gedacht, böse Geister zu vertreiben, doch derlei unbedeutende Talismane waren völlig nutzlos. Anya spürte, wie Mimi sich in ihr regte, wie sie sich in dem Lufthauch aalte, der durch die Kleider der Frau drang, und in der nachhallenden Wärme der gerade erst beendeten sexuellen Begegnung auf ihrer Haut.
Ihr schwarzes, mit Drahtgeflecht hochgebundenes und mit Wachs gebändigtes Haar glänzte im Dunkeln. Locken, gefertigt aus Pferdehaar, fielen dick wie Würste über ihren Rücken. Das Blau ihrer bis zu den Füßen reichenden Tunika und der gegürteten Stola war heller als das Azur der Fliesen an dem schweren Ischtar-Tor, das sie gerade durchschritt und das sich in all seiner Pracht zu einem sternenklaren Himmel emporstreckte.
Die niedrige Silhouette von Babylon war ungleichmäßig, geprägt von den geometrischen Kanten der Zikkurate, des Königspalastes und der Zinnen des Ischtar-Tores. Jenseits der schützenden Mauern um die Stadt herum senkten Palmen ihre Häupter dem Fluss entgegen. Blätter wisperten in der trockenen Brise. Im Westen konnte sie das besänftigende Rauschen der schwarzen Wasser des Euphrat vernehmen. Der Stadt selbst haftete eine unverkennbare Aura der Sicherheit und des Schlafes an, so, als wüsste niemand von den Monstern jenseits der Tore.
Eine Stimme wehte wie Rauch von den Zinnen des Tores herab: »Wohin treibt es eine Priesterin Ischtars zu dieser späten Stunde?«
Die Frau kehrte ihr geschmackvoll geschminktes Gesicht dem Ursprung der Stimme zu: einem mächtigen Schatten hoch oben auf der Mauer. Vom Boden aus konnte Anya in der Höhe nur einen Schimmer von Gold und die harte, rote Glut zweier Augen erkennen. Sie roch etwas Verbranntes, etwas wie glühende Kohlen. Der dunkle Schatten befand sich außerhalb des Lichtkegels der flackernden Fackeln und war groß genug, um das Licht des Mondes zu verdecken.
»Sirrush.« Die Frau verbeugte sich tief und sah durch ihre dichten Wimpern zu ihm empor. »Ich bin lediglich auf der Suche nach einer Gabe für Ischtar.«
Ein Rascheln in der Höhe wie Seide auf trockenem Laub. »Speisen für die Göttin?«
»Ja. Speisen für die Göttin.« Sie lächelte. »Ein Opfer.«
Die Kreatur, die auf der Mauer auf und ab schritt, schnaubte verächtlich. Vom Boden aus konnte Anya etwas Dunkles zucken sehen, vielleicht einen Schwanz, vielleicht die Wölbung eines Rückens oder nur ein Schimmer sich brechenden Lichts. »Lilitu, deine Göttin fordert sonderbare Opfer.«
Lilitu zog mit einem Ausdruck spöttischer Verwunderung die Brauen hoch. »Sie unterscheiden sich nicht von denen, die in deinem Tempel gefordert werden, Sirrush. Fleisch ist Fleisch.«
Eine Glocke erklang in der Ferne, und die Kreatur auf der Mauer erstarrte und lauschte still.
»Dein Tempel ruft dich zum Essen, Sirrush.«
Gewaltige Klauen scharrten über das Gestein, als die Kreatur sich entfernte, angezogen von dem Glockengeläut. »Mögen alle Götter und Göttinnen heute Nacht gut speisen, Lilitu.«
Lilitu senkte den Kopf, ein gefährliches Lächeln auf den Lippen. Anya fühlte den Griff des Dämons an ihrer Kehle.
Sie streifte durch die dunklen Straßen. Ihre schwarz umrandeten Augen musterten die wenigen Bürger Babylons, die zu dieser Stunde noch auf den Beinen waren: die Wachen, die Zecher und die Totenpriester, die Verstorbene auf ihrem letzten Weg begleiteten. Unter diesen war keiner das, was sie suchte. Sie brauchte etwas Besonderes, um Ischtars Hunger nach Fleisch zu stillen. Etwas Neues.
Sie fand es gleich neben einer Schenke. Dort übergab gerade ein Reisender die Zügel seines Pferdes dem Stallknecht. Sie bewunderte die Art, wie sich sein Körper unter der staubigen Kutte bewegte, betrachtete anerkennend das dichte, lockige Haar, den stattlichen Bart und die breiten Schultern. Der Mann trug eine Tunika, prachtvoll gefärbt in Schattierungen von Rot und Violett, und seine juwelenbesetzten Ringe funkelten, als er dem Stallmeister zuwinkte. Edelsteine waren mit Draht in seinen Bart eingewoben, und die Stickerei am Rand seiner Kopfbedeckung schimmerte golden. Der Reisende war kein armer Mann. Er würde ein hübsches Opfer für Ischtar abgeben.
Sie tänzelte näher an ihn heran, als sein Pferd fortgebracht wurde, und blickte unter ihren langen Wimpern zu ihm auf. »Der Tempel der Ischtar heißt dich in Babylon willkommen.«
Der Fremde lächelte ihr zu, und seine Augen
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