Flammenzungen
einen falschen anzugeben. Aber da sie wusste, dass sie bei einer Lüge knallrot geworden wäre, hatte sie sich dazu entschieden, ihren richtigen Namen zu nennen. „Amy LaBauve, Miss.“
„Cajun, richtig?“
Lächelnd nickte sie. Sie hatte gedacht, einen verbitterten Mann und hartgesottenen Geschäftsmann anzutreffen, aber Gavin machte einen freundlichen und gelassenen Eindruck.
„Ich habe irische Vorfahren. Genau das liebe ich an diesem Land. Die Vielfalt der Menschen.“ Er lehnte sich zurück. „Was kann ich für Sie tun, Ms. LaBauve?“
„Ich habe von meinen Großeltern ein Shotgun House in Waggaman geerbt und überlege, es zu verkaufen und das Geld in ein normales Haus zu investieren“, flunkerte sie - dabei würde sie ihren geliebten Schuhkarton niemals freiwillig hergeben.
„Ist es gut erhalten?“
„Nein.“
„Es wird nicht einfach werden, es abzustoßen, wenn ich ehrlich sein darf. Die meisten Menschen mögen es nicht, wenn die Räume hintereinander angeordnet sind und sie keinen Flur haben. Sie sagen, dann könnten sie gleich in einem Trailer wohnen.“ Seine Miene erhellte sich. „Aber wenn man an den Traditionssinn appelliert und der Fassade einen frischen Anstrich verleiht, läge eine Veräußerung im Bereich des Möglichen. Dazu müsste ich es mir natürlich erst einmal anschauen. Könnten Sie vorab Fotos mitbringen, wenn wir uns Wiedersehen?“
Während sie sich über das gemeinsame Projekt, das niemals zustande kommen würde unterhielten, musterte Amy ihn unauffällig. Er nahm sie ernst, obwohl er nicht überzeugt davon war, einen Käufer zu finden und ohnehin kaum etwas an ihr verdienen würde. Weder zeigte er ein schmieriges Vertreterlächeln noch die Überheblichkeit eines erfolgsgewohnten Businessmannes. Er ging auf sie ein und überlegte ernsthaft, wie er ihr helfen konnte. Sie hatte das Gefühl, als unterhielten sie sich auf einer Ebene, dabei kamen er, der Jungunternehmer des vergangenen Jahres, und sie, die arme Kirchenmaus mit dem renovierungsbedürftigen Eigenheim, aus unterschiedlichen Welten.
Gavin Buckley war nett. Dieses Fazit brachte Amy durcheinander. Hatte er ihr nur sein professionelles Gesicht gezeigt, oder war er von Lorcan - absichtlich oder nicht - falsch dargestellt worden?
„Entschuldigen Sie mich, ich muss jetzt leider gehen.“
Gavin erhob sich und reichte ihr zum Abschied erneut die Hand. „Mailen Sie mir doch am besten einige Bilder von Ihrem Shotgun House zu, Innen- und Außenansicht, dann weiß ich, worüber wir wirklich sprechen.“
Sie machte Anstalten, sich zu erheben, aber er bat sie mit einer Geste, sitzen zu bleiben. „Das mache ich. Danke, dass Sie sich trotz Ihrer vielen Termine Zeit für mich genommen haben.“
„Hat mich gefreut, Ms. LaBauve.“ Er schenkte ihr ein letztes Lächeln und trat zu einem Mann, der soeben hereingekommen war. Er begrüßte ihn herzlich und führte ihn in sein Büro.
Um Carlys Misstrauen nicht zu erregen, blätterte Amy noch ein wenig in dem Ordner, während sie an ihrem Kaffee nippte. Dabei fiel ihr ein Objekt auf, das ihr bekannt vorkam. Sehr bekannt sogar. Die Angaben, die neben dem Foto standen, passten ebenfalls.
Es handelte sich eindeutig um Nabils Haus.
Er hatte es vor dreieinhalb Jahren geerbt, nachdem seine Eltern bei einem Zugunglück ums Leben gekommen waren. Es handelte sich um ein zweistöckiges Gebäude mit zitronengelbem Anstrich und viel zu vielen Zimmern für eine einzelne Person. Amy wusste zwar, dass Nabil einen Käufer suchte - bisher erfolglos, weil das Gebäude gleich an zwei Hauptverkehrsstraßen lag, aber nicht, dass er Gavin Buckley mit dem Verkauf beauftragt hatte. Da Nabil schon seit zwei Jahren auf ein adäquates Angebot wartete, lag die Vermutung nah, dass er bereits von Buckley MacConmara betreut worden war.
Sie dachte an das Gespräch mit dem Indianer zurück. Von Anfang an hatte sie sich gefragt, weshalb Lorcan den Kontakt ausgerechnet zu ihr gesucht hatte. Die Hoffnung, er könnte sich einfach nur zu ihr hingezogen gefühlt haben, hatte sich soeben zerschlagen.
Aufgewühlt klappte Amy den Ordner zu. Sie glaubte nicht an Zufälle. Die Polizisten hatten ihr damals nicht einreden können, dass der Maskierte sie nur vergewaltigen wollte, weil sie das Pech gehabt hatte, an diesem Novemberabend seinen Weg zu kreuzen. Ebenso wenig ging sie davon aus, dass Nabil ein Unbekannter für Lorcan war.
Als sie das Bürogebäude verließ, trat sie so hart auf, als wollte sie mit ihren
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