Flashback
bereits brennenden Lastwagen gegen die Seitenmauer gedrückt worden war. »Javier und Dulcinea Gutiérrez. Die Namen
waren echt. Nur Staatsbürgerschaft und lokaler Hintergrund auf ihren NICCs waren gefälscht. Sie waren erst drei Wochen vor dem sogenannten Unfall aus Ciudad Juárez hergebracht worden. Wir haben auch Telefonaufzeichnungen von Moretti, der das alles arrangiert hat.«
»Ich habe Moretti nie angerufen.«
Wieder bedachte K. T. ihn mit dem Blick, mit dem sie schon viele in die Enge getriebene, verzweifelt lügende Täter gemustert hatte. »Hör zu, Nick. Du hast mich doch erst vor ein paar Tagen gebeten, da genauer nachzuforschen. Ich war der Meinung, dass es ein Unfall war. Ich hab gesagt, wer macht freiwillig bei einem Versicherungsbetrug mit, wenn er das Leben verliert? Aber du hast nicht lockergelassen, du wolltest unbedingt, dass ich nachhake. Das hab ich getan. Und das ist das Ergebnis.«
Wieder scheuerte Nick mit den Fingern über Wange und Kinn. »Es ergibt einfach keinen Sinn, selbst wenn Moretti ein getarnter Mafiakiller war. Und glaub mir, K. T., dazu war der Kerl einfach viel zu blöd. Nicht mal die Mafia von Denver, so altersschwach und dekadent sie auch ist, würde so einen engagieren … und schon gar nicht diese aufwändige Gesichtsoperation bezahlen, um seine Identität zu verschleiern. Und wieso überhaupt seine Identität verschleiern? Wenn die Mafia jemanden beseitigen lässt, dann mit einer Kugel Kaliber .22, die im Schädel rumrotiert.«
»Außer jemand wollte um jeden Preis vermeiden, dass ein Mordverdacht aufkommt, Nick.«
»Kann schon sein, doch so arbeitet die Mafia nicht.«
»Richtig«, bestätigte K. T. »Aber du vielleicht schon.«
Ohne zu antworten, kramte Nick in den Unterlagen herum. »Dieser Geschworenenbericht ist einfach verrückt. Die Beweise reichen doch leicht für eine Anklage – auch wenn alles gefälscht ist. Aber es gab keine Anklage. Die Jury wurde im April vor fünfeinhalb Jahren wieder aufgelöst, K. T., und seitdem liegt dieses Zeug in der
Schublade und setzt Staub an. Wie bist du überhaupt an die Sachen rangekommen?«
»Ich habe alles an Gefälligkeiten abgerufen, was ich irgendwo guthatte, und Versprechen gegeben, die ich hoffentlich nie einlösen muss.« K. T.s Stimme klang müde. »Du hast mich darum gebeten , Nick.« Sie stieß den gesamten Stapel farbiger Mappen in seine Richtung. »Behalt das Zeug. Wenn du je erzählst, dass ich über diese Scheiße was weiß, werde ich es abstreiten.«
»Was soll ich damit?« Nick legte die Mappen aufeinander. Der Stapel war fast zwanzig Zentimeter hoch.
»Wen interessiert das, Partner?«
Nick knallte die Faust auf den Stapel. »Wenn Ortega extra eine Jury zusammengerufen hat und diese ganzen Beweise von den Ermittlern seines Büros hat sammeln lassen, warum hat er sie dann nicht benutzt? Offensichtlich gab es keine Anklage. Nicht einmal an die Presse ist was durchgesickert. Wie kann man so viele Beweise dafür beschaffen, dass ein führender Detective vom Dezernat für Gewaltverbrechen seine Frau und einen stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt ermordet hat, und das Ganze dann einfach auf sich beruhen lassen? Das ist doch Strafvereitelung.«
»Da musst du schon Ortega fragen.«
»Das werde ich«, knurrte Nick. »Gleich morgen früh. In seinem Büro.«
K. T. schüttelte den Kopf. »Der Bürgermeister ist zusammen mit dem Gouverneur und Senator Grimes in Washington. Wieder mal eine Reform zur Immigration. Berater Nakamura soll sich am Montag mit ihnen zu einer Aussage vor irgendeinem Unterausschuss treffen.«
»Dann fahre ich eben nach Washington.« Er rieb sich die müden Augen. Was redete er denn da? Fast hätte er wieder mal seinen Sohn vergessen.
Seit wie vielen Jahren stand Val bei ihm jetzt schon ganz unten
auf der Prioritätenliste? Viel tiefer als seine Flashbacksucht. Davor tiefer als seine Trauer um Dara. Davor tiefer als sein Scheißjob als Detective. Davor tiefer als die Liebe zu seiner Frau. Davor … Hatte sein Sohn überhaupt je Priorität für ihn gehabt?
Mit der Kraft einer Welle brandete die Gewissheit heran, dass ihm Val bei einer Begegnung genau das vorhalten würde: Nick hatte sich nie für ihn interessiert.
»Nein.« Nick atmete tief durch. »Ich fahre nach L. A., um meinen Sohn zu finden. Ich muss ihn da rausholen. Um Ortega kümmere ich mich später.«
K. T. Lincoln erhob sich. »Egal, was du machst und mit wem, ruf mich nicht mehr an, Nick. Ich hab diese Geschworenenakte nie
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