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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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niedrigen Wolken, dann reichte es ihm. »Gehen wir wieder runter, der Regen nervt mich.«
     
    Später wusste Nick nicht, warum er das verdammte Haus nicht einfach verlassen hatte. Seine Arbeit dort war vorbei. Und wenn er in noch so viele Ecken gaffte, an diesem sechs Jahre alten Tatort war nichts mehr zu entdecken. Er hätte verschwinden sollen. Alles wäre anders gekommen, wenn er das getan hätte.
    Aber er blieb.
    Sie betraten das Foyer im zweiten Stock, und wieder bildete sich Nick ein, den schalen Gestank von Blut und Gehirnmasse aus dem Schlafzimmer zu riechen. Sato wandte sich nach links zum Ausgang, doch statt darauf zu warten, dass Sato die Tür aufschloss, strebte Nick hinüber in das große Zimmer, das auf die Wazee Street blickte.
    Das war die Bibliothek des Hauses, das Keigo Nakamura in den
Monaten vor seiner Ermordung bewohnt hatte, ein Raum, wie ihn sich jeder Bibliophile erträumt hätte. Die Dielen waren aus brasilianischer Kirsche, die eingebauten Bücherschränke an drei Wänden aus handgeschnitztem Mahagoni, überall lagen Perserteppiche, die langen Tische mit Zeitschriftenständern und riesigen Wörterbüchern sahen aus, als stammten sie aus dem Kartensaal von Columbus, und die zwei Reihen von eleganten Jalousien vor allen acht Hochfenstern waren ebenfalls aus Kirschholz. Der riesige Mahagonischreibtisch vor der Fenster wand machte den Eindruck, als hätte er schon einem amerikanischen Präsidenten im Oval Office gedient, und auf einem niedrigen Podium stand ein Steinway. Das Leder der im Raum verteilten Sessel und des langen Sofas war so dunkel und weich, dass man sich in einen englischen Club des achtzehnten Jahrhunderts versetzt fühlte.
    Nick ließ den Blick über die zweitausenddreihundertneun Bücher in den Regalen schweifen. Er kannte die genaue Zahl, weil er seine Leute angewiesen hatte, jedes einzelne davon durchzusehen. Die einzigen Entdeckungen dabei waren drei fast ein Jahrhundert alte Polaroidschnappschüsse von einem jungen Mann, der auf einer Couch schlief. Die Fotos steckten in dem hundertfünfzig Jahre alten dritten Band von Verfall und Untergang des Römischen Reiches. Da der Abgebildete – das Gesicht abgewandt – eine halbe Erektion hatte, hatten einige besonders scharfsinnige Ermittler gefolgert, dass der in Japan und den USA als Frauenheld bekannte Keigo heimlich schwul gewesen und von einem seiner Liebhaber getötet worden war.
    Letztlich konnten weder die Forensiker des DPD noch die Experten des FBI den Fotografen und sein junges Modell identifizieren. Aber Nick fand den Innenarchitekten, der für Keigo Nakamura gearbeitet hatte, und erfuhr, dass alle Bände für die Bibliothek meterweise bei verschiedenen Grundstücksauktionen in Kalifornien und Colorado gekauft worden waren. Laut Aussage des Architekten
waren die Werke vor allem im Hinblick auf die Qualität ihrer Ledereinbände erworben worden.
    Soweit die Fachleute das erkennen konnten, hatte Keigo Nakamura nie auch nur ein einziges Buch aus seiner Sammlung aufgeschlagen, und der nackte Mann auf den Polaroids gehörte zu einem ganz anderen Geheimnis.
    Die Taschenbuchausgabe von Shōgun , die Keli Bracque vor ihrer Ermordung gelesen hatte, stammte nicht aus der Bibliothek.
    Nick schob die mittleren Holzjalousien auseinander und beobachtete, wie der Regen auf die Wazee Street prasselte. Er legte die Finger auf das kühle Glas und kämpfte gegen seltsame Kräfte an, die in ihm aufstiegen wie ein vergessener Hunger.
    Er stellte fest, dass ihn dieser Mordfall allmählich wirklich in seinen Bann zog. Warum? Keigo Nakamura war ihm völlig gleichgültig. Wahrscheinlich hatte der arrogante junge Schnösel den Tod verdient. Seine alberne Filmdokumentation über die Flashbacksucht in den Vereinigten Staaten wäre weder bei Japanern noch bei Amerikanern auf Interesse gestoßen.
    Und doch hatte sie für irgendwelche Leute so viel Bedeutung, dass sie ihn deswegen umgebracht haben. Keigos Telefon, die Filmkamera und die letzten drei Speicherkarten mit den jüngsten Interviews darauf waren verschwunden. Waren Keigo irgendwelche Aussagen aus diesen Interviews zum Verhängnis geworden?
    Persönlich fand Nick Gefallen an Hideki Sato als dem neuen Hauptverdächtigen. Auf jeden Fall erklärte das, warum sich Sato so große Mühe gegeben hatte, bei den ursprünglichen Ermittlungen seine Existenz zu verheimlichen. Und was das Motiv betraf – wer konnte das schon wissen? Vielleicht hatte Hiroshi Nakamura die Ermordung seines Sohnes

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