Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
von Interesse hätte sein können, ist jetzt nur noch …«
»… Staub auf den Stiefeln des Sergeants«, führte ich den Satz vergnügt zu Ende.
»Du sagst es. Jetzt muss ich alles mit der Lupe absuchen, so wie Sherlock Holmes.«
»Wonach suchen Sie denn?«
»Nach Samen. Von der Bestattung des heiligen Tankred. Damals gab man den Verstorbenen oft frische Blumen mit in die Gruft.«
»Aber die Gruft war leer«, sagte ich. »Von Mr. Collicutt mal abgesehen.«
»Leer? Nein, leer ist die Gruft bestimmt nicht. Der Hohlraum, in dem du Mr. Collicutt entdeckt hast, liegt über der eigentlichen Gruft. Er bildet sozusagen den Deckel. Der heilige Tankred ruht eins tiefer.«
Deshalb hatten dort keine Knochen gelegen! Dieses Rätsel war schon mal gelöst.
»Dann ist es also wahrscheinlich, dass Sie doch noch ein paar Samen und dergleichen finden?«
»Sollte mich wundern, wenn nicht. Aber wie bei jeder Ermittlung fängt man am besten außen an und nagt sich langsam zum Kern durch.«
Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.
»Was wollen Sie denn mit den alten Samen?«
»Aufpäppeln. Ich bringe sie an einen warmen Ort und versorge sie mit allem, was sie brauchen.«
An seinem leidenschaftlichen Ton erkannte ich, dass Samen für ihn das Gleiche bedeuteten wie Gifte für mich.
»Und dann?«
»Dann keimen sie vielleicht. Und wenn wir ganz viel Glück haben, gelangt die eine oder andere Pflanze sogar zur Blüte.«
»Nach fünfhundert Jahren?«
»So ein Samen ist wirklich ein kleines Wunder. Die einzig wahre Zeitmaschine, die es gibt. Jeder einzelne Samen ist ein lebendiger Zeuge der Vergangenheit. Erstaunlich, oder?«
»Und wenn die Pflanzen aufgeblüht sind?«
»Dann verkaufe ich sie. Du würdest staunen, was manche Leute dafür hinlegen, der einzige Besitzer einer ausgestorbenen Blume zu sein.«
Er machte eine kleine Pause. »Von den akademischen Pauken und Trompeten ganz zu schweigen. Ohne die kommt man heutzutage ja nicht aus.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber das mit den Blumen war faszinierend genug.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich ins Dorf mitzunehmen?«, fragte ich unvermittelt. Es war immer noch früh am Tag, und in meinem Kopf nahm eine Idee Gestalt an.
»Ist dein Vater denn damit einverstanden, dass du bei einem völlig Fremden im Auto mitfährst?«, fragte er, aber seine Augen funkelten ironisch.
»Wenn es sich um einen Freund des Vikars handelt, hat er bestimmt nichts dagegen. Darf ich Gladys hinten reinlegen, Mr. Sowerby?«
»Adam«, sagte er. »Da wir beide dem Vikar so nahestehen, halte ich es nur für angebracht, dass du mich beim Vornamen nennst.«
Ich kletterte auf den Beifahrersitz. Als Adam die Kupplung trat und den ersten Gang einlegte, schüttelte sich der Wagen erst heftig, dann setzte er sich in Bewegung.
»Sie heißt Nancy.« Er deutete auf das Armaturenbrett. Mit einem vielsagenden Blick setzte er hinzu: »Nach dem Gedicht von Burns.«
»Das kenne ich leider nicht«, gestand ich. »Meine Schwester Daphne ist der Bücherwurm der Familie.«
» › Obwohl langsam der Gang, so lieben wir uns doch ‹ «, deklamierte er wie ein Schmierenkomödiant. »Aus Die Heimkehr des Soldaten . «
»Aha!«, sagte ich.
Der Friedhof leuchtete womöglich noch grüner als am frühen Morgen. Der blaue Vauxhall des Inspektors parkte noch an der gleichen Stelle, ebenso Mr. Haskins’ Lieferwagen.
»Ich lasse dich hier raus«, sagte Adam am Friedhofstor. »Ich habe noch einiges mit dem Vikar zu besprechen.«
Was heißen sollte: »Ich möchte unter vier Augen mit ihm sprechen«, aber er verpackte es so zuvorkommend, dass ich schlecht Einwände erheben konnte.
Gladys hatte sich sehr über ihre erste Fahrt in einem Rolls-Royce gefreut, aber sie war auch froh, wieder festen Boden unter den Reifen zu haben. Ich schob sie ein Stück beiseite und winkte Adam zu.
Kaum hatte ich einen Fuß in die Kirche gesetzt, da stellte sich mir eine hohe, düstere Gestalt in den Weg. »Stehen geblieben!«
»Guten Morgen, Sergeant Woolmer. Was für ein wunderschöner Tag, nicht wahr? Trotz des Regens vorhin ist es noch richtig sonnig geworden.«
»Lass gut sein, kleines Fräulein«, knurrte er. »Du kommst hier nicht rein. Betreten verboten. Das ist ein Tatort.«
»Ich wollte nur ein paar Gebete sprechen.« Ich ließ die Schultern hängen und gab mich so verhuscht wie Cynthia Richardson, die Frau des Vikars. Ich schaffte es sogar, meine Stimme weinerlich klingen zu lassen. »Es dauert auch
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