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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Problem waren meine Füße. Sie waren nicht nur nackt, ohne Schuhen und Socken, sondern obendrein mit den stinkenden Überresten von Cassandra Cottlestone verdreckt.
    Darum ging ich so weit in die Knie, dass der Saum meines Mantels die Bodenfliesen streifte, und watschelte wie ein Pinguin durch die Halle – oder vielleicht auch wie der Pantomime Mr. Pastry in einer seiner bekannten Nummern. Wahrschein lich sah ich aus, als hätte mir jemand die Beine auf Kniehö he abgesägt oder mich wie einen Zelthering in den Boden gerammt.
    Ich war die Treppe schon halb oben, als ich über mir Schritte vernahm.
    So ein Mist aber auch!
    Hinter dem Geländer am oberen Treppenabsatz erschienen zwei schwarze Hosenbeine.
    Ihnen folgte der übrige Dogger.
    »Ich komme gleich wieder und bringe dir warmes Wasser«, raunte er mir zu, als er an mir vorbeiging.
    Der Mann verblüffte mich immer wieder.
    Ich weichte in meiner Sitzbadewanne vor mich hin und versuchte, nicht allzu genau darüber nachzudenken, woraus die dunklen Teilchen bestehen mochten, die an der Oberfläche der dampfenden Brühe trieben. Müde wie ich war, muss ich wohl eingenickt sein. Eben garte ich noch wie ein Knödel im heißen Wasser, im nächsten Augenblick saß ich wieder in St. Tankred auf der Orgelbank.
    Gebannt beobachtete ich, wie schlanke weiße Finger die Tasten betätigten, die nur von zwei Kerzen an den Enden des Notenhalters angeleuchtet wurden.
    Sonst lag die Kirche im Dunklen.
    Schwarze Noten auf einem weißen Blatt verteilt – schwarze Händeschatten flogen wie flinke Spinnen über das weiße Elfenbein.
    Ich kannte das Stück. Feely hatte Chopins Trauermarsch erst vor vierzehn Tagen gespielt, als die alte Mrs. Fuller zum letzten Mal in die Kirche getragen wurde.
    Dum-dum-da-DUM, dum-da-DUM-da-DUM-da-DUM.
    Das Stück hatte etwas vernichtend Endgültiges. Wenn du erst mal im Grab liegst, gibt es kein Zurück mehr. Es sei denn, du wirst wieder ausgebuddelt …
    »Feely«, sagte ich zaghaft, »glaubst du wirklich …«
    Ich drehte den Kopf zur Seite, aber es war nicht meine Schwester, die da neben mir auf der Orgelbank saß.
    Der schwarze Schweinerüssel drehte sich langsam zu mir um, die glasigen Augen waren blutunterlaufen. Noch bevor das Wesen den Mund aufmachte, roch ich den widerlichen Gummigestank, den Friedhofsgestank seines warmen, fauligen Atems.
    »Harriet«, krächzte das Wesen. »H-a-r-r-i-e-t.«
    Schreiend wachte ich auf. Meine Hände schlugen ins Wasser, die Beine strampelten wild. Mit einem Satz sprang ich aus der Wanne, wobei sich eine Flutwelle auf den Fußboden ergoss.
    Mir klapperten die Zähne, und trotz des noch lauwarmen Wassers war mir eiskalt. Ich wankte quer durchs Zimmer, hüllte mich in meinen Bademantel und ließ mich aufs Bett fallen.
    Zu mehr war ich nicht in der Lage. Mein Atem ging abgerissen, und mein Herz hämmerte, als würde ein Irrer auf eine Trommel eindreschen.
    Als es leise klopfte, war ich zu keiner Antwort fähig. Nach einer kleinen Weile öffnete sich die Tür, und Doggers Gesicht erschien.
    »Alles in Ordnung?« Er musterte mich aufmerksam.
    Ich bekam meine eisenhart verspannten Halsmuskeln gerade so weit in den Griff, dass ich ein unbeholfenes Nicken zustande brachte.
    Dogger legte mir kurz die Hand auf die Stirn, hob dann mit dem Daumen mein Kinn an und sah mir in die Augen.
    »Du hast dich erschreckt«, stellte er fest.
    »Ich hab geträumt.«
    »Aha.« Er legte mir eine Steppdecke um die Schultern. »Träume können auch erschreckend sein. Leg dich bitte hin.«
    Als ich mich ausgestreckt hatte, schob er mir ein Kissen unter die Füße.
    »Träume …«, wiederholte er. »Träume sind nützlich. Heilsam.«
    Ich muss ihn wohl verständnislos angestarrt haben.
    »Angst kann verblüffend heilsam sein«, fuhr er fort. »Schon vor langer Zeit war bekannt, dass sie Zipperlein heilen und Fieber senken kann.«
    »Zipperlein?«, brachte ich hervor.
    »Ein schmerzhaftes Leiden, das ältere Herren befällt, die ihre tägliche Flasche Wein höher schätzen als ihre Leber.«
    Ich muss wohl gelächelt haben, aber auf einmal waren meine Augenlider bleischwer.
    Eisenharte Halsmuskeln, bleierne Lider …, dachte ich. Ich werde immer stärker.
    Dann schlief ich ein.

8
    A ls ich die Augen wieder aufschlug, war es schon hell hinter den Fensterscheiben, aber die Sonne war noch nicht aufgegangen. Die Zeiger meines Messingweckers zeigten schläfrig auf halb sechs.
    Verflixt! Ich hatte meine mitternächtliche Rückkehr in die Gruft

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