Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
hundertzwanzig Kilo schwer. Ob ich ihn überhaupt bewegen konnte? Doch jetzt, da sich jemand dahinter befand, war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt, das auszuprobieren.
Trotzdem wollte ich unbedingt feststellen, ob der Kriechgang und der Steinquader tatsächlich mit dem Hohlraum verbunden waren, in dem ich Mr. Collicutts Leiche entdeckt hatte.
Tja, vielleicht musste ich eben so lange im Dunkeln herumhocken, bis hinter der Mauer das Licht erlosch.
Wie lange das wohl dauern mochte? Was hatten die Leute dort drüben überhaupt zu suchen?
Da konnte ich es mir ebenso gut bequem machen. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Wand und ließ mich daran herabgleiten, damit ich mich auf den Boden setzen konnte.
Leider rutschte ich mittendrin auf einem Steinchen aus.
Ich plumpste unsanft auf den Hintern.
Viel schlimmer war, dass ich die Taschenlampe fallen ließ.
13
K leng!, schepperte es schauerlich laut.
Ich hielt den Atem an.
Das Insektengesumm verstummte schlagartig.
Ich spitzte die Ohren, hörte aber nicht mehr als mein eigenes Herzklopfen.
Dann ein Knirschen … das Scharren von Stein auf Stein, das von einer Wand zur anderen zurückgeworfen wurde. Ich kroch ein Stück vorwärts und legte die Hand auf den Steinquader.
Er bewegte sich!
Die Männer auf der anderen Seite drückten ihn in meine Richtung!
Ich tastete nach meiner Taschenlampe, konnte sie aber im Stockdunkeln nicht finden. Hier und da bekam ich einen Schuttbrocken zu fassen, ansonsten kratzten meine Nägel über den harten Boden.
Der Steinquader bewegte sich immer noch. Ich sah ihn zwar nicht, hörte ihn aber knirschen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis jemand durch die Öffnung gekrochen kam.
Wenn ich den Stein doch bloß hätte blockieren können! Zum Beispiel mit einem langen Balken, den ich an der gegenüberliegenden Wand verkeilen konnte …
Aber in dieser leeren Kammer gab es nichts dergleichen. Es gab überhaupt nichts.
Nur Flavia de Luce.
Die rettende Eingebung kam aus heiterem Himmel – jedenfalls erschien es mir damals so.
Später wurde mir klar, dass mein verzweifelter Verstand die Erinnerung daran ausgewürgt hatte, wie ich auf der Suche nach Feelys Tagebuch in der Schublade mit ihren Unaussprechlichen kramte. Als ich es schließlich aufgegeben hatte, musste ich ärgerlicherweise feststellen, dass sich die Schublade nicht mehr richtig schließen ließ. Ich konnte drücken und schieben, so viel ich wollte, sie ging einfach nicht zu.
Erst als ich sie ganz herauszog, sah ich, dass das Tagebuch mit Heftpflaster an die Rückseite geklebt war. Wieder was dazugelernt!
Ich ließ mich auf den Rücken fallen, stellte die Füße auf den beweglichen Mauerquader und stemmte die Schultern gegen die Wand hinter mir.
Ich spannte sämtliche Muskeln an und verwandelte mich in einen menschlichen Keil.
Der Stein bewegte sich nicht mehr.
Nach kurzer Stille ging man drüben erneut ans Werk.
Abermals schob sich der Stein langsam auf mich zu.
Hatten die Kerle etwa eine Brechstange dabei?
Vielleicht drückten sie jetzt mit vereinten Kräften dage-gen.
Meine Knie gaben nach. Ich versuchte sie durchzudrücken, aber sie zitterten wie Bogensehnen.
Daffy hatte mir mal eine Geschichte vorgelesen, in der das Opfer mit einem Marterwerkzeug namens »Storch« gefoltert wurde, das den Körper nicht wie eine Streckbank auseinanderzog, sondern ihn zusammendrückte, bis er vom Druck der aufgestauten Körperflüssigkeiten platzte wie ein übergroßer Pickel.
Ich streckte beide Arme weit aus und suchte auf dem Boden verzweifelt nach irgendeinem Halt, um meinen Widerstand zu verstärken.
Ein Lichtspalt wurde sichtbar. Der Stein war schon fast aus der Wand heraus.
Jetzt verstand ich auch, was die Männer sagten.
»Das verdammte Ding sitzt fest«, sagte der eine. »Gib mal die Brechstange her.«
Es schepperte metallisch, und ich spürte, wie der Stein noch energischer gegen meine Fußsohlen gedrückt wurde. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten.
Dann ging das Licht aus – flammte aber nach ein paar Sekunden wieder auf.
»Da kommt wer!«, zischelte es, und der Stein rührte sich nicht mehr.
»Da ist jemand oben an der Treppe«, sagte eine zweite Stimme. »Die haben das Licht an- und ausgeschaltet.«
»Los, wir hauen ab!«, flüsterte der Erste panisch.
»Los, hinter den Heizkessel. Und dann durch die Kohlenluke.«
Hastige Schritte, dann Totenstille.
Sie waren weg.
Ich zählte langsam bis hundert.
Wie bei einem Kommandounternehmen
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