Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
und schmierte das ölige Resultat auf das Ende der verbogenen Zahnspange. Dann klemmte ich mir die Taschenlampe zwischen Kinn und hochgezogene Schulter, schob den Drahthaken ins Schlüsselloch und fuhrwerkte so lange darin herum, bis ich fand, dass die Sperrriegel ausreichend geschmiert waren.
Anschließend bewegte ich den improvisierten Dietrich hin und her, bis er fasste, und drehte ihn dann mit einem Ruck um.
Erst … nichts. Widerstand. Aber dann … ein erlösendes Klick !
Ich betätigte den Knauf, und die Tür schwang mit dumpfem Ächzen auf.
Schon machte ich einen Schritt über die grobe Holzschwelle und stand in dem unterirdischen Gang.
Mit den Wörtchen »modrig« und »beißend« lässt sich der Geruch, der mich empfing, am treffendsten beschreiben. Ich war gut anderthalb Meter unter der Erdoberfläche, und der Gang führte abwärts in Richtung Kirche. Wer ihn auch ausgehoben hatte, er wollte offenbar rasch unter den schaurigen Inhalt der Gräber gelangen.
Als ich mich Schritt für Schritt voranbewegte, war mir nur allzu bewusst, dass die Erde über und neben mir das enthielt, was von den Toten des Dorfes noch übrig war. Allerdings waren die Gebeine der allermeisten vermutlich längst zerfallen und ihre Körperflüssigkeiten in dem sumpfigen Boden versickert.
Ganz unerwartet kam mir eine Predigt des Vikars in den Sinn, in der es darum gegangen war, dass wir alle nur Lehm waren und der Herr unser Töpfer – eine Botschaft, die mir erst jetzt, hier unter dem Friedhof, so richtig lebendig vor Augen stand. Wo ich auch hinschaute, fiel mein Blick auf Knochenstückchen, die im Schein der Taschenlampe weiß wie Porzellanscherben leuchteten.
Was sich meinen Blicken darbot, war nicht minder staunenswert als die dreidimensionalen Geologie-Ausstellungen im Naturkundemuseum.
Reiß dich zusammen, Flavia, ermahnte ich mich. Jetzt ist nicht der rechte Augenblick, um über die Wunder der Zersetzung nachzusinnen.
Mit jedem Schritt gelangte ich tiefer unter die Erde. Hier unten kam mir die Strecke bis zur Kirche viel länger vor als oben. Inzwischen musste ich doch schon an den Grundmauern angelangt sein!
Vielleicht führte der Tunnel ja gar nicht zur Kirche, sondern in eine ganz andere Richtung.
Nein – ich war die ganze Zeit geradeaus gegangen, jedenfalls soweit ich das beurteilen konnte.
Plötzlich ging es steil bergauf. Ein gemauerter Torbogen kam in Sicht.
Und die nächste abgeschlossene Tür.
Dieses Schloss war älter und viel kniffliger zu knacken. Der Mechanismus war klobiger und schwergängiger, und er ließ sich mit dem dünnen Zahnspangendraht kaum bewegen.
Ich gratulierte mir im Stillen dazu, dass ich die Gurkengabel als Reserve eingesteckt hatte.
Noch eine Portion Squalen von meiner Nase, ein bisschen Geruckel mit der Zahnspange in den Innereien des Schlosses, ein paar energische Drehungen mit der Gabel, und die Sache war geritzt! Die Tür schwang nach innen auf.
Hier hörte der Tunnel auf.
Ich stand in einer niedrigen, gemauerten Kammer, die offensichtlich zur Krypta gehörte.
Eiserne Spangen an den Wänden hatten früher einmal Fackeln gehalten: Dicke Rußflecken an der Decke, wahrscheinlich Hunderte von Jahren alt, bewiesen, dass die Fackelhalter auch benutzt worden waren.
Die Wände waren mit eingeritzten Namen und Initialen bedeckt: D.C., R.O., Playfayre, Madrigall, Wenlock – manche der Familien lebten heute noch in Bishop’s Lacey.
Ein de Luce war nicht dabei.
In der hinteren Wand erspähte ich etwas, das ich anfangs für ein Loch hielt: ein schwarzes Rechteck, ungefähr anderthalb Meter über dem Boden. Ich leuchtete mit der Taschenlampe hinein, sah aber nicht viel, weil ich zu klein war.
Zum Glück hatte jemand einen Granitbrocken, wahrscheinlich ein Bruchstück von einem alten Grabstein, als Tritt vor die Öffnung gelegt.
Auch ohne die Fußspuren, die überall im Staub zu sehen waren, hätte man gemerkt, dass erst vor Kurzem jemand durch die Öffnung geschlüpft war.
Ich stieg auf den Stein, spähte noch einmal durch die Öffnung und zwängte mich dann hindurch. Die gemauerte Kammer, in der ich nun stand, war erstaunlich geräumig, und von einer ihrer Seiten ging ein schmaler, niedriger Gang ab.
Ich ging in die Knie und krabbelte auf allen vieren in den Gang hinein. Dabei musste ich an Howard Carter denken, wie er durch die labyrinthischen Gänge der Pyramiden gekrochen war. War er nicht gestorben, weil er sich einen Fluch zugezogen hatte?
In dem engen Gang hörte ich
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