Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
die einst vielleicht golden gewesen waren, waren blutverkrustet und verklebt. Die strahlenden Augen waren so unsäglich schwarz wie Brunnenschächte in einer mondlosen Nacht. Und der Mund...
...oh mein Gott, der Mund...
... war der zerfranste Schlund eines Raubtieres. Lange gebogene Zähne blitzten ihm entgegen. Die Kiefer der Kreatur zuckten unablässig, während sie Teddy musterte – so als könnte sie es kaum erwarten, endlich ihre Zähne in sein Fleisch zu schlagen.
„Komm her zu mir, Onkel. Komm her und lass uns spielen“, sagte die Kreatur ein weiteres Mal. Ihre Stimme war dabei nichts weiter als ein ersticktes Gurgeln. Sie presste die Worte zwischen den Zähnen hervor, die Teddy immer mehr an eine rostige Bärenfalle erinnerten, die jederzeit zuschnappen konnte.
Und genau so wie das Mädchen waren auch all die anderen Kreaturen, die sich in der Kirche versammelt hatte. Sie waren allesamt Leichname – totes Fleisch, das durch eine böse Kraft zu neuem Leben erwacht war und sich offensichtlich danach verzehrte, Leid und Schrecken über die Menschheit zu bringen.
Dass die Kraft, die dafür verantwortlich war, böse sein musste, stand für Teddy außer Zweifel. Um sich davon zu überzeugen, musste er nur ein weiteres Mal in die Augen des Mädchens blicken – in diese schwarzen Schlangengruben, bei deren Anblick sich ein leichter Schwindel auf seine Sinne legte. Es war das gleiche Gefühl, dachte Teddy, das einen überkommt, wenn man zu nahe an einem Abgrund steht. Es war der Schwindel, der mit dem Wissen einherging, dass der Sensenmann in diesem Augenblick ganz nah war.
Nur einen falschen , unvorsichtigen Schritt entfernt.
Teddy zweifelte nicht daran, dass diese Ahnung zutraf. Er mochte sich in diesem Augenblick gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Andy ihn nicht zurückgehalten hätte.
Gleichzeitig war er darüber erstaunt, wie schnell es ihm gelungen war, die Dinge zu akzeptieren, die gerade vorgefallen waren. Sein ganzes verdammtes Leben lang, dachte er, hatte er nur an Dinge geglaubt, die er auch logisch erklären konnte. Monster, Außerirdische oder blutende Jesusstatuen – all das war für ihn schon immer ausgemachter Humbug gewesen, mit dem sich Wichtigtuer für gewöhnlich aufspielten und nach Bewunderung rangen.
Und obwohl er sein ganzes Leben nach diesen Maßstäben ausgelegt hatte, hatte ein kurzer Blick in das Innere der Kirche ausgereicht, um dahingehend alle Überzeugungen über Bord zu werfen. Es war beinahe so, als wäre eine Tür in seinem Geist geöffnet worden – es war die Tür mit der Aufschrift: ES GIBT KEINE MONSTER. Sein ganzes Leben lang haben alle möglichen Leute Schlösser und Ketten an dieser Tür befestigt und dafür gesorgt, dass sie auf ewig verschlossen bleibt. Seine Eltern, die Schule und auch die Kirche – all diese Menschen und Einrichtungen hatten Barrikaden vor dieser gottverdammten Tür errichtet und ihm glaubhaft gemacht, dass sich dahinter nichts weiter befand als wüstes Seemannsgarn.
Und in diesem Augenblick, dachte Teddy, nach langen 69 Jahren, hatte ein kurzes Erlebnis ausgereicht, um diese gottverdammte Tür ein für allemal aus den Angeln zu reißen. Das, was sich dahinter verbarg, war vielleicht hässlich und böse – dennoch konnte Teddy in diesem Augenblick nicht abstreiten, dass es eine ganz eigentümliche Anziehung auf ihn ausübte.
Teddy wandte sich wieder zu Andy, der neben ihm stand. Tausend Fragen rauschten durch seinen Verstand, ohne sich jedoch zu verdichten. Er war sprachlos und wusste nicht, was er sagen sollte. Der Anblick hatte ihn überrumpelt und innerhalb von Sekundenbruchteilen sein komplettes Weltbild in Schutt und Asche gelegt.
So standen sie einige Augenblicke da, bis es ihm doch endlich gelang, etwas zu sagen. Es war zwar nur ein einziges Wort, das ihm über die Lippen kam. Doch in diesem Augenblick, dachte Teddy, reichte es aus, um all seine Gedanken und Gefühle auf einen einzigen Nenner zu bringen:
„Danke“, sagte er. Seine Stimme klang dabei genau so, wie er sich fühlte: beschissen.
„Keine Ursache, Mister Barnes“, sagte Andy und trat einen Schritt zurück. Teddy folgte ihm. Plötzlich schien es ihm keine so gute Idee mehr zu sein, derart nahe am offenen Kirchenportal zu stehen.
Es ist generell eine beschissene Idee, überhaupt länger in diesem Teufelsnest zu bleiben. Sieh zu, dass du Land gewinnst, Teddy-alter-Junge!
Nachdem sie einige Schritte gegangen waren, blieben sie mitten auf der Hauptstraße
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