Flirt mit dem Tod
verließen, was Dominic ein kleines Lächeln entlockte. »Neuer Verehrer?«
*
Die Observation brachte nichts. Um halb zwei in der Nacht brachen sie den Einsatz ab, nicht sicher, ob sie enttäuscht sein sollten, weil der Täter nicht aufgetaucht war – oder ob die Tatsache, dass es zumindest keine weiteren Opfer gab, sie aufatmen lassen sollte.
Erschöpft und übernächtigt fuhren Elena und Dominic am Dienstagmorgen ins Massachusetts-State-Prison , das etwa eine Stunde außerhalb von Boston lag.
Dominic überließ Elena das Fahren und tat, als vertiefte er sich noch einmal in die Akten. Er wollte nicht mit seiner Partnerin reden und er wollte um keinen Preis ins Staatsgefängnis fahren. Er hatte keine Ahnung, wie er Elena das erklären sollte. Also starrte er in die Akte, ohne sie zu lesen. Er musste sie auch nicht mehr lesen. Das hatte er in der vergangenen Nacht ein ums andere Mal getan.
Er hatte nicht schlafen können. Kein Wunder, so, wie sich dieser Fall entwickelte. Er blickte zu Elena hinüber, die, ihre Sonnenbrille gegen die tief stehende Herbstsonne auf der Nase, den Wagen durch den dichten Berufsverkehr lenkte. Noch einmal überlegte er, ob er ihr nicht besser erzählen sollte, was die Akte bedeutete, die sie gestern ausgegraben hatten. Was der Fall bedeutete, doch dann schüttelte er leicht den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Er wusste ja selbst noch nicht, wie er damit umgehen sollte. Elena würde mit Sicherheit ausflippen, wenn er es ihr erzählte. Soviel war klar.
Ihm blieb erst einmal nichts anderes übrig, als seine übernächtigten Augen hinter seiner eigenen Sonnenbrille zu verstecken und die Akte in der Hand zu halten, damit Elena nicht auf die Idee kam, ein Gespräch anzufangen.
*
Sie hatte sich Anthony Vionello anders vorgestellt. Elena musterte den Mann, der in Hand- und Fußfesseln in den Verhörraum geführt wurde. Während er sich setzte, verglich sie ihn innerlich mit den Bildern, die vor dreißig Jahren von ihm gemacht worden waren. Damals hatte er sich durch eine Mähne schwarzen Haares und eine klapperdürre Junkiegestalt ausgezeichnet. Mittlerweile war er deutlich fülliger und das dichte dunkle Haar hatte sich in schüttere Strähnen in einem schmutzigen Grauton verwandelt. Das Gesicht des Mannes war faltig und seine Haut blass und fahl, wie es bei Menschen der Fall war, die wenig Zeit im Freien verbringen. Zu diesen gehörte er nun einmal. Der orangefarbene Gefängnisoverall schmeichelte dem Eindruck nicht unbedingt.
Vionello rutschte ein paar Mal auf seinem Stuhl herum, um trotz seiner Fesseln eine möglichst bequeme Sitzposition zu finden. Er ließ seinerseits den Blick über Elena gleiten – ausführlich – nachdem er Dominic nur kurz und desinteressiert gestreift hatte. Seine Miene hellte sich zu einem Grinsen auf, das bestenfalls als boshaft bezeichnet werden konnte. »Wie nett, von einem so hübschen, jungen Detective besucht zu werden.«
Vionello war eindeutig keine angenehme Gesellschaft. Elena warf Dominic einen Blick zu. Die Kiefer zusammengepresst, die Hände zu Fäusten geballt, saß er neben ihr, als wollte er gleich auf ihr Gegenüber losgehen. Einmal mehr kein besonders hilfreiches Verhalten ihres Partners.
»Mr. Vionello …«
»Nennen Sie mich Tony«, unterbrach er und versuchte, seine Sitzposition so zu ändern, dass er einen Blick in Elenas Ausschnitt erhaschen konnte. Selbstverständlich trug sie kein tief ausgeschnittenes Dekolleté, doch unter dem Blick dieses Mannes musste sie sich zusammenreißen, um nicht die Hand zu heben und auch die oberen beiden Knöpfe ihrer Bluse zu schließen.
»Gut. Tony, wir sind vom Boston PD und möchten mit Ihnen über die Überfälle sprechen, die Sie begangen haben«, zwang sie sich, in einem ruhigen gelassenen Tonfall zu sagen.
»Warum?« Vionellos Blick hatte mittlerweile einen wachsamen und berechnenden Ausdruck angenommen. Eigenschaften, die zu besitzen im Knast sicher kein Fehler war, Elena aber eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Das Ermittlungsteam hatte hin und her überlegt, wie viel sie Vionello erzählen sollten. Wenn er über die aktuellen Morde Bescheid wusste, würde er möglicherweise einen Weg finden, den Täter zu warnen. Also tastete sich Elena vorsichtig heran. »Es werden zurzeit Überfälle begangen, die den Ihren sehr ähneln.«
Das brachte ihr ein raues, hässliches Lachen ihres Gegenübers ein. »In einen Laden gehen, den Besitzer über den Haufen schießen
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