Flora Segundas magische Missgeschicke
aber gleich darauf mit einer Akte zurück. Er übergab sie meiner Mutter, die sie aufschlug und ihre Feder in das Tintenfass eintauchte.
»Generalin, ich bitte um Verzeihung, aber bevor Sie unterzeichnen …«
»Ayah?«
Leutnant Sabre schaute mich an. Meine Mutter schwieg einen Moment.
»Flora«, sagte sie dann, »mein rotes Klebeband ist fast aufgebraucht. Bitte geh zu Pecos und hole mir neues. Wir werden es brauchen.«
»Aber Mama …«
»Flora.« Sie sprach meinen Namen mit jener Stimme aus, die Colonels zum Weinen brachte. Ich stand auf. Ein winziger Teil von mir war verärgert, dass sie mich so offensichtlich loswerden wollte, aber ein anderer, viel größerer Teil war plötzlich sehr aufgeregt. Es war etwas im Busch.
Also ging ich hinaus, fröhlich pfeifend, als ob es mein Herzenswunsch war, rotes Klebeband zu besorgen.
»Mach die Tür hinter dir zu, Flora«, rief meine Mutter mir nach.
Ich tat es, leise. Leutnant Sabres Büro befindet sich direkt nebenan. Es gibt eine Verbindungstür zum Büro meiner Mutter, die zwar geschlossen war, aber über eine Quersprosse mit einem Fenster verfügt. Das Fenster stand nur einen kleinen Spalt weit offen, aber es genügte.
»… besteht darauf, dass Sie den Schönen Jack in seine Obhut geben.«
Der Schöne Jack? Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und versuchte, mein Ohr näher an das geöffnete Fenster zu schieben. Nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, ich wäre größer.
»Keine Chance, nicht um alles in der Welt. Der Schöne Jack ist meine Beute. Ich habe ihn gefangen und ich werde mit ihm abrechnen. Sie können Lord Axacayas Gesandtem sagen, dass er heimkehren soll – mit leeren Händen.« Die Stimme der Generalin klang hart und flach. »Er ist mein Preis und ich werde ihn behalten.«
Meine Mutter hatte den Schönen Jack geschnappt! Udo würde tot umfallen. Das erregte Flattern in meinem Bauch wurde zu einem ausgemachten Hurrikan. Aber warum war diese unglaubliche Tatsache ein so geheimes Geheimnis? Seit Jahren war der Schöne Jack der Schrecken der Küste; er raubte und plünderte jedes Schiff, das seinen Pfad kreuzte. Ayah, der Schöne Jack hatte zwar gute Manieren und brachte niemanden um, aber er war und blieb ein Dieb. Seine Gefangennahme war ein großer Erfolg für die Generalin von Califa und würde ihre Beliebtheit nur noch steigern.
Leutnant Sabre hüstelte nervös. »Ich bitte um Vergebung, Madama Generalin, aber Lord Axacayas Gesandter hat zum Ausdruck gebracht, dass er Ihre Unvoreingenommenheit in diesem Fall bezweifelt, wegen Ihrer früheren Kontakte zu Boy Hansgen. Ich bitte nochmals um Vergebung.«
Boy Hansgen? Nini Mos rechte Hand? Niemand
hatte etwas von ihm gehört, seit der Krieg vorbei war, aber er war der meistgesuchte Mann in ganz Califa. Was hatte Boy Hansgen mit dem Schönen Jack zu schaffen?
»Lord Axacaya irrt sich. Vor vielen Jahren waren Boy Hansgen und ich Freunde, aber mit dem Schönen Jack verbindet mich keinerlei Freundschaft. Dieses Problem muss schnell gelöst werden. Wenn bekannt wird, dass der Schöne Jack Boy Hansgen ist und sich in unserem Gewahrsam befindet, gibt es mächtigen Ärger.«
Boy Hansgen war der Schöne Jack? Ich hätte mich vor lauter Aufregung beinahe übergeben. Wenn ich nicht versucht hätte, so kühl und besonnen wie ein Kleiderhaken zu bleiben, hätte ich laut geschrien. Die wahre Identität des Schönen Jack war nicht bekannt, und obwohl die Presse immer über sie spekuliert hatte, war keiner auf den Namen Boy Hansgen gekommen. Boy Hansgen war am Leben? Ein echter Waldläufer – und lebendig!
Meine Mutter fuhr fort: »Ich will, dass dieses Urteil sofort vollstreckt wird, Aglis. Je eher, desto besser. Bis dahin bleibt sein Aufenthaltsort geheim. Es wäre eine Katastrophe, wenn die Presse davon Wind bekäme. Und ich will ihn loswerden, bevor Axacaya die Nachricht nach Anahuatl weitergibt. Die Göttin weiß, ich will unter allen Umständen vermeiden, dass die EG davon erfährt. Wer kann sagen, auf was für irrsinnige Ideen diese Idioten kommen?«
Die EG – die Eschatologische Gesellschaft – ist eine revolutionäre Vereinigung, die jeglichen Einfluss der Huitzil in Califa verurteilt. Sie ist gänzlich illegal,
aber die Aktivitäten ihrer Anhänger werden oft in der Zeitung erwähnt, obwohl sie selten etwas anderes unternehmen, als Sprüche auf Hauswände zu malen oder anonyme Flugblätter zu verbreiten.
»Ayah, Madama Generalin«, sagte Leutnant Sabre. »Heute Nacht wird eine Gruppe
Weitere Kostenlose Bücher