Flowertown - Die Sperrzone
der Schulter.
»Was zum Teufel treibst du hier?«
Ellie fuhr zusammen. Bings Gesicht lehnte sich nah an ihres. Es war rot. Sie schob ihre Hände voller Unschuld unter ihre Schenkel. »Nichts.« Dann lachte sie. Es war offensichtlich, dass sie ertappt worden war. »Ich wühle in deinem Schreibtisch.«
»Warum?«
»Ich suche dein Gras.«
Bings Ärger war verflogen. Er schnaubte.
»Viel Glück damit. Das findest du nie.«
»Ach, wirklich? Ellie lehnte sich im Stuhl zurück. »Bist du dir da so sicher?«
»Einhundert Prozent. Glaube mir. Das ist eine Nummer zu groß für dich.«
Ellie schlenkerte mit den Beinen, wobei der Stuhl rhythmisch quietschte. »Wollen wir wetten?«
Bing lehnte sich gegen die Trennwand und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Okay. Lass uns um etwas Sinnvolles wetten. Wenn ich nach deinem gewöhnlichen Kleidungsstil heute Morgen gehe – was ist das auf deinem T-Shirt? Soße? –, dann lass uns um eine Ladung im Waschsalon wetten.«
»Zwei.«
Bing zog ob ihrer Keckheit seine Augen zusammen. Mit ziemlicher Sicherheit war Ellie die einzige Person, die den Waschsalon mehr hasste als er, aber er wusste auch, dass sie fantastisch gut bluffen konnte. Er gab ihr drei Minuten zum Suchen.
»Ich brauche nur zehn Sekunden, « sagte Ellie.
Sein Gesicht fiel zusammen, als er sah, wie sie hinter ihrem Rücken die Naht des abgenutzten Stuhlpolsters aufpulte und ein fest gepacktes Tütchen Marihuana hervorholte. »Fuck.«
Ellie lachte und schnüffelte an dem dunkelgrünen Kraut. »Hmmm. Lecker. Und jetzt neu mit dem Geruch frischer Wäsche. Ach, und bitte benutze Bleichmittel für meine weißen Sachen, ja?«
»Wie hast du das gefunden? Hast du es ertastet?«
»Nein. Ich habe es gerochen.«
»Quatsch.«
Ellie lachte wieder und schwenkte das Tütchen unter seiner Nase.
»Ich hab es dir schon einmal gesagt. Ich rieche gutes Gras aus hundert Schritten Entfernung. Unterschätze nie die Nase.«
»Du hast dieses Tütchen nicht gerochen.«
Sie stand auf und tänzelte den Gang so hinunter, wie sie gekommen war. Bing rief ihr nach, aber sie ignorierte ihn und neckte ihn mit dem emporgehaltenen Tütchen Gras. Sie wusste, dass das das kleinere Übel für Bing darstellte. Aber es würde ihn wahnsinnig machen, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie sie es gefunden hatte. Selbstredend hatte sie das Gras nicht gerochen – selbst eine so sensible Nase wie die ihre war nicht so gut. Als Bing sie überraschte und sie im Stuhl zusammengefahren war, hatte sie eine plötzliche Eingebung. Der Bürostuhl war kaputt. Die Federn waren locker und die Laufrollen schief. Um ihn herum standen ein Dutzend Stühle, die alle besser funktionierten als seiner. Bing wusste, dass jeder seinen Schreibtisch nach allem möglichen Bürokram durchforsten würde, um etwas mitgehen zu lassen, aber niemand, der seinen Tag in einer Arbeitsnische verbrachte, würde einen unbequemen Stuhl klauen. Das war sicherer als ein verschlossener Safe. Wenn nicht gerade jemand kapierte, wie man tickte.
Ellie eilte die Treppen hinauf und wollte sich schnell einen Joint drehen. Sie wusste, dass Bing bald nach oben kommen würde – immer noch unfähig, sich zu erklären, wie es ihr gelungen war, ihn zu durchschauen. Sie schmiss das Tütchen in die Luft und fing es auf, während sie Big Martha zuwinkte, die gerade ihren Computer hochfuhr. Martha sah sie nicht undkonnte sie deshalb nicht warnen, dass gerade um die Ecke, hinter dem hohen Stapel Aktenschränke, dort, wo man ihn von der Tür aus nicht sehen konnte, ein schwer bewaffneter Wachmann in roter Feno-Uniform stand.
Als sie und der Wachmann sich so abrupt gegenüberstanden, hätte Ellie das Tütchen beinahe fallen gelassen. Sie stopfte es tief in ihre linke Tasche, und er griff flink nach dem Maschinengewehr, das um seine Schulter hing. Ellie fand, dass er sich, alles in allem betrachtet, im Vorteil befand. Sie hob ihre Hände langsam nach oben und bemerkte, dass der junge Wachmann sich bemühte, seinen Atem zu kontrollieren. Er sah nicht so aus, als fühlte er sich mit der Waffe wohler als Ellie ohne Waffe.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Was haben Sie hier zu suchen?« Er stieß die Wörter mit der abgehackten Präzision eines exerzierenden Feldwebels heraus. Wegen seiner verkrampften, angespannten Haltung vermutete Ellie, dass er nicht nur nervös, sondern auch neu war. Sie war sich nicht sicher, ob ihn das mehr oder weniger gefährlich machte.
»Mein Schreibtisch ist dort drüben.«
Weitere Kostenlose Bücher