Fluch, Der: Roman
Vernunft zu legen. Ein Gespür dafür, mit wem und womit sie es zu tun hatte.
»Was denkst du eigentlich, was das hier ist?« fragte er sie.
»Ein Spiel? Ihr verflucht einfach einen Mann mit Frau und Kind und haltet das dann für ein Spiel? Denkst du etwa, daß er diese Frau – deine Großmutter - mit Absicht überfahren hat? Daß er sie auf seiner Abschußliste stehen hatte?
Glaubst du etwa, daß ihm die Mafia den Auftrag gegeben hatte, deine Großmutter zu töten? Scheiße!«
Sie weinte jetzt vor Haß und Zorn. »Er hat sich von seiner Frau wichsen lassen, als er sie auf offener Straße überfahren hat! Und dann haben sie ihn ... sie han tag in pojken, haben ihn freigesprochen. Aber wir haben ihn bestraft. Und du wirst der nächste sein, du Freund eines Schweins. Es ist egal, was...«
Er schob den Deckel des Weckglases mit dem Daumen zurück, und ihr Blick fiel zum erstenmal auf dieses Gefäß. Und genau da wollte er ihn haben.
»Säure, du Nutte«, rief er und schüttete sie ihr ins Gesicht. »Jetzt wirst du sehen, wie viele Menschen du noch mit deiner Schleuder erschießen kannst, wenn du ganz blind bist.«
Sie stieß einen hohen, schrillen Schrei aus und schlug die Hände vors Gesicht. Zu spät. Sie fiel zu Boden. Ginelli drückte ihr den Fuß auf den Nacken.
»Schrei, und ich bringe dich um. Dich und die ersten drei deiner Freunde, die hergerannt kommen.« Er nahm den Fuß weg. »Es war nur Pepsicola.«
Sie setzte sich auf die Knie und funkelte ihn durch ihre gespreizten Finger hindurch an. Seine außerordentlich feinnervigen, beinahe telepathischen Sinne sagten ihm, daß er ihr das nicht erst hätte erklären müssen. Sie wußte es schon, hatte es in dem Augenblick begriffen, als das ätzende Beißen ausgeblieben war. Und einen winzigen Augenblick später – gerade noch rechtzeitig genug – spürte er, daß sie ihm an die Hoden springen wollte.
Ihrem Sprung - geschmeidig wie der einer Raubkatze – wich er aus und trat ihr voll in die Seite. Ihr Hinterkopf knallte an die Chromverzierung der offenstehenden Wagentür.
Ein lautes Krachen, und sie fiel in sich zusammen. Blut lief ihre Wange hinunter.
Ginelli beugte sich in der Gewißheit, daß sie bewußtlos sei, über sie, da warf sie sich fauchend auf ihn. Mit einer Hand zerkratzte sie seine Stirn, die Fingernägel der anderen rissen den Ärmel seines Pullovers auf und schnitten ihm tief ins Fleisch.
Ginelli knurrte und stieß sie wieder zu Boden. Er preßte ihr die Pistole unter die Nase: »Na los! Du willst auf mich losgehen? Willst du das? Nur zu, du Nutte! Mach schon!
Worauf wartest du noch? Du hast mir das Gesicht zerkratzt!
Es wird mir ein Vergnügen sein, wenn du mir an den Hals gehst!«
Sie lag ganz still, ihre dunklen Augen starr wie der Tod.
»Du würdest es tun«, stellte er fest. »Wenn es allein um dich ginge, würdest du es tun. Aber das würde ihn töten, nicht wahr? Den alten Mann?«
Sie schwieg, aber ein mattes Leuchten flackerte kurz durch ihre dunklen Augen.
»Du denkst daran, was ich dem Alten angetan hätte, wenn im Weckglas wirklich Säure gewesen wäre. Dann denk erst recht mal darüber nach, wie er darunter leiden würde, wenn ich sie nicht dir, sondern den beiden Zwillingen in ihren GI-Joe-Pyjamas ins Gesicht schütten würde. Ich wäre dazu imstande, Nutte. Ich könnte es tun, nach Hause fahren und mir in aller Ruhe ein gutes Abendessen gönnen. Du siehst mir ins Gesicht, und du weißt, daß ich dazu fähig wäre.«
Endlich sah er Unsicherheit und etwas, das Ähnlichkeit mit Angst hatte, in ihren Augen aufdämmern - aber nicht Angst um sich selbst.
»Er hat euch verflucht«, sagte Ginelli. »Der Fluch bin ich.«
»Scheiß auf seinen Fluch!« fauchte sie und wischte sich mit verächtlicher Geste das Blut von der Wange.
»Er hat mir aufgetragen, niemanden zu verletzen«, fuhr er fort, als ob sie nichts gesagt hätte. »Das habe ich auch nicht. Aber mit heute abend ist das vorbei. Ich weiß nicht, wie oft dein alter Opa mit solchen Sachen bisher unbehelligt davon gekommen ist, aber diesmal wird es ihm nicht gelingen.
Sag ihm das. Sag ihm, er soll es wegnehmen. Ich frage heute zum letztenmal! Hier, nimm das.«
Er drückte ihr einen Zettel in die Hand, auf den er die Nummer der ›sicheren‹ Telefonzelle in New York City geschrieben hatte.
»Du wirst diese Nummer heute um Mitternacht anrufen und mir erzählen, was der alte Mann dazu zu sagen hat.
Wenn du eine Antwort von mir brauchst, rufe zwei Stunden
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