Flucht aus der Zukunft
Bürgertum war voll von heimlichen Verbrechern. Respektierliche Klasse-Sechs-Bürger ließen sich die schrecklichsten Dinge einfallen. Dicke Matronen aus Klasse Fünf lauerten Fremden in dunklen Seitenwegen auf. Kinder nahmen an Scheußlichkeiten teil. Sogar Gesetzesvertreter umgingen das Gesetz. Sie bauten sich heimlich Häuser in Gebieten, die für Angehörige der Klasse Zwei vorbehalten waren. Aber Quellens Verbrechen tat wenigstens den anderen Menschen nicht weh. Während andere ...
Da war ein Bericht über einen Mann, der an den Hydroponikanlagen arbeitete. Er hatte ein biologisches Verbrechen begangen: Er hatte in den Körper eines anderen Menschen lebende Materie verpflanzt. Es hieß, daß er einen Kollegen betäubt und mittels einer Ultraschall-Sonde eine tödliche Dosis einer neuentwickelten asiatischen Fleischfresser-Art eingeführt hatte. Diese Pflanze hatte nach und nach das ganze Kreislaufsystem des Opfers zerfressen. Und weshalb hatte der Mann das getan? »Weil ich seine Reaktion sehen wollte«, erklärte er.
Da war ein Klasse-Sechs-Lehrer an einer großen Universität in Appalachia, der ein junges Mädchen in sein luxuriöses Apartment eingeladen hatte und verführen wollte. Als sie sich weigerte, betäubte er ihr Schmerzzentrum und verstümmelte sie für immer. Weshalb? »Eine Sache des männlichen Stolzes«, erklärte er dem Beamten, der ihn verhaftete.
Er hatte seinem Stolz Genüge getan. Aber das Mädchen würde nie wieder Freude oder Schmerz empfinden können, wenn ihr die Ärzte nicht halfen.
Und hier überflog Quellen den Bericht von einer kultischen Veranstaltung, die in einer Tragödie geendet hatte, statt in mystischer Verklärung. Ein Anhänger des Erbrechens-Kultes hatte in seine Schale drei Kristalle pseudolebenden Glases geworfen, bevor er sie weitergab. Das Glas, das sich in der entsprechenden Umgebung ausdehnte, hatte die inneren Organe der Opfer durchdrungen. »Es war alles ein schrecklicher Irrtum«, erklärte der Verbrecher. »Meine Absicht war es, selbst einen der Kristalle zu schlucken und mit ihnen den Schmerz und die endgültige Loslösung zu teilen.«
Die Geschichte entsetzte Quellen besonders. Die meisten dieser Alpträume ließen ihn unberührt, aber zufällig war Judith eine Anhängerin dieses Kultes, und seit Helaines Besuch spukte Judith dauernd in seinen Gedanken herum. Quellen hatte sie seit seiner letzten Rückkehr aus Afrika weder gesehen noch gesprochen. Und Judith hätte leicht ein Opfer dieser teuflischen Glaskristalle sein können. Vielleicht sogar ich, dachte Quellen entsetzt. Ich muß Judith bald einmal anrufen. Ich habe sie in letzter Zeit vernachlässigt.
Er blätterte weiter die Berichte durch.
Nicht alle Verbrechen waren so phantasievoll. Da war das übliche Quantum an Raufereien, Messerstechereien, Lasertoten und ähnlichem. Aber der Bereich, in dem sich die Verbrechen abspielten, war ungeheuer groß, und besonders ausgeprägte Scheußlichkeiten bildeten ein Charakteristikum der Zeit. Quellen legte ein Blatt nach dem anderen zur Seite, schrieb hier eine Bemerkung und dort eine Empfehlung dazu. Dann schob er das Material weg.
Er hatte bisher noch keine Gelegenheit gehabt, die Spule mit Material B durchzusehen, die Brogg für die Zeitreise-Untersuchung hergerichtet hatte. Brogg hatte gesagt, sie enthielte Beweise von Zeitreisen außerhalb der Zeitzone von 1979 bis 2106. Quellen legte die Spule ein und lehnte sich zurück, um sie zu betrachten.
Brogg hatte gewissenhaft Hunderte von Erzählungen geheimnisvoller Vorkommnisse und Spukerscheinungen gesammelt, die man als Zeitreisen auslegen konnte. Er hatte sich unendliche Mühe gegeben. »Es liegt der Gedanke nahe«, hatte Brogg geschrieben, »daß die Hauptperiode der Zeitreisen innerhalb der vergangenen fünfhundert Jahre liegt, daß es aber Fälle gibt, in denen Zeitwanderer in eine sehr viel früher liegende Periode geschickt wurden.«
Schon möglich, dachte Quellen. Er sah sich die Berichte an.
Material: Zeugnis des Chronisten Giraldus Cambrensis, geboren auf Schloß Manorbier in Pembrokeshire um 1146 nach Christus. Giraldus berichtete von einem rothaarigen jungen Mann, der unerwartet im Schloß eines Ritters namens Eliodore de Stakepole in Westwales auftauchte:
Dieser merkwürdige Mann sagte, sein Name sei Simon. Er übernahm die Schlüssel des Seneschalls und auch dessen Stelle. Doch er war ein so kluger und kunstfertiger Bediensteter, daß im Hause nie etwas verlorenging oder fehlte. Und das
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