Flucht aus Oxford
das zu tun, was Pfarrer an einem Nachmittag zu tun pflegen. Kate stromerte ruhelos im Cottage umher. Genau genommen hatte sie am Vormittag wenigstens einige kleine Erfolge verbuchen können. Sie hatte den Ort gesehen, an dem Donna gestorben war, auch wenn man dort inzwischen längst geputzt und aufgeräumt hatte. Sie hatte sich mit Carl unterhalten und von Graham erfahren. Vielleicht stieß sie ja sogar auf die Spur des Raben, wenn sie morgen auf dem Antikmarkt Grahams Stand ausfindig machen konnte. Und sie hatte Tony Fuller kennengelernt. Zwar wäre es ihr lieber gewesen, wenn sie Derek und Hazel getroffen hätte, die in der Geschichte eine zentrale Rolle zu spielen schienen, doch der Sohn war immerhin ein Anfang.
»Irgendetwas hat heute Morgen nicht so recht geklappt, nicht wahr?« Roz schien ihre Gedanken lesen zu können. »Was war es?«
»Ich weiß es nicht genau. Aber es hatte mit Tony Fuller zu tun.«
»Wie ist er? Etwa groß und fesch mit schwarzem Haar und blitzenden Augen?«
»Eigentlich eher nett, intelligent und mausgrau.«
»Und wo liegt das Problem?«
»Er sagte, er wäre Dozent am Leicester College.«
»Das ist in Oxford, nicht wahr? Gehört es nicht zur Universität?«
»Genau. Ich hatte einmal einen Freund, der ebenfalls dort Dozent war.«
»Ah!«
»Wieso ›Ah‹?«
»Ich ahne eine Story.«
»Okay, ich mache es kurz. Ich dachte, er und ich, wir wären ein Paar und gehörten zusammen. Irgendwann stellte sich heraus, dass er monatelang ein Doppelleben geführt und mich betrogen hatte. Er war nichts als ein verlogener Scheißkerl. Mehr gibt es nicht zu erzählen.«
»Und wie hieß diese Schlange?«
»Liam. Liam Ross.«
»Du darfst dir aber nicht dein restliches Leben durch eine solche Geschichte vergällen lassen.«
»Ich mir mein Leben vergällen lassen? Dass ich nicht lache! Er lebt inzwischen in Amerika, und ich hatte ihn völlig vergessen, bis Tony Fuller heute das College erwähnte.«
»Wenn du es sagst …«
»Ich glaube, ich sollte heute einmal putzen. Das Cottage ist ganz schön schmutzig.«
»Du hast recht. Wechsel ruhig das Thema.«
»Ich wechsle das Thema, weil es nichts mehr darüber zu sagen gibt. Rutsch mal ein Stück, ich möchte hinter deinem Sessel saugen.«
»Diesen Teppich solltest du besser nicht saugen«, warnte Roz. »Du würdest die Fransen ruinieren, und deine Freundin wäre dir böse, und das völlig zu Recht.«
»Und wie soll ich deiner Meinung nach die Krümel und die abgeschnittenen Fingernägel entfernen?«, fragte Kate schnippisch.
»Mit Handfeger und Kehrblech«, antwortete Roz ernst. »Man muss nur sanft mit dem Strich bürsten, das genügt völlig.«
»Wenn du meinst«, grollte Kate und stöberte im Wandschrank nach den erforderlichen Utensilien. Sie wusste, dass Callie irgendwo Handfeger und Kehrblech haben musste. Es war erheblich einfacher, sich Roz’ Ansicht anzuschließen, als mit ihr zu streiten. So war es auch früher schon gewesen. Kate fragte sich einen Moment lang, ob sie wohl anders geworden wäre, wenn sie ihrer Mutter öfter widersprochen hätte. Doch es war ohnehin zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Vorsichtig bürstete sie den Teppich in Strichrichtung. Die Fransen ließ sie in Ruhe. Die Arbeit wirkte erstaunlich beruhigend auf sie.
Nachdem Kate ihren Putzfimmel ausgelebt hatte – was nicht sehr lange dauerte, weil das Haus nicht wirklich schmutzig gewesen war –, begann Roz erneut, ihr zuzusetzen.
»Ich finde, für heute hast du dich genügend bestraft«, sagte sie.
»Was soll das? Ich brauche mich nicht zu bestrafen. Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest!«
»Na, warum hast du dich dann hier eingeigelt? Wenn das keine Strafe für einen geselligen Menschen wie dich ist, dann weiß ich es wirklich nicht.«
»Ich musste weg von zu Hause. Ich habe dir alles erzählt. Andrew ist in meinem Flur gestorben – erinnerst du dich?«
»Ich weiß sehr gut, was du mir erzählt hast. Aber das kann nicht alles gewesen sein. Natürlich ist es schrecklich und bedrückend, in einem Haus wohnen zu müssen, in dem ein guter Freund ums Leben gekommen ist, aber das erklärt noch längst nicht, warum du deinem Leben in Oxford so vollständig den Rücken gekehrt hast. Seit ich hier bin, hat noch niemand angerufen. Du telefonierst nicht, du bekommst keine Briefe, du lädst niemanden ein.«
»Doch – zum Beispiel Donna.«
»Aber die hast du erst hier kennengelernt, nicht wahr? Sie hat nichts mit Oxford zu tun.«
»Nein. Ich
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