Flucht aus Oxford
Roz.
»Keine Sorge, ich hatte Sie bereits mit eingeplant«, beruhigte Tim sie.
»Sollen wir Sie abholen?«, fragte Kate und fügte listig hinzu: »Oder möchten Sie vielleicht lieber mit Ihrem Wagen fahren?«
»Ich fand die Fahrt in dem gelben VW so außergewöhnlich, dass ich es kaum abwarten kann, diese Erfahrung zu wiederholen«, verkündete Tim feierlich.
»Einverstanden. Wir sind morgen pünktlich um halb vier am Pfarrhaus«, versprach Roz. »Ach, übrigens: Während ihr bei Fullers wart, habe ich lang und ausführlich mit meiner lieben Freundin Alison Fanning telefoniert.«
»Kleid wie gestrickter Porridge, selbst eingedrehte Haare«, rekapitulierte Kate. »Genau dein Typ, Roz.«
»Aber sie sitzt am Dreh- und Angelpunkt des dörflichen Nachrichtendienstes. Neben anderen interessanten Neuigkeiten teilte sie mir mit, dass die Polizei offenbar vorhat, Donnas Tod nicht weiter zu verfolgen. Man ist der Ansicht, dass es sich um einen Unglücksfall handelt, und will die Sache damit auf sich beruhen lassen. In einer Woche, nachdem die Todesursache gerichtlich festgestellt worden ist, wird der Coroner seinen Abschlussbericht in diesem Sinne veröffentlichen. Wahrscheinlich verbindet man die Bekanntmachung wieder mit den üblichen Aufrufen, wirksamer gegen den Gebrauch harter Drogen vorzugehen, und die Angelegenheit wird im Sand verlaufen.«
»Dann sind wir also tatsächlich die Einzigen, die noch versuchen, die Wahrheit herauszufinden«, stellte Kate fest.
»Richtig. Und deshalb dürfen wir die Suche nach Antworten auch keinesfalls aufgeben«, erklärte Roz und stand auf. »So, und jetzt gönne ich mir ein Entspannungsbad. Trinken Sie nur in aller Ruhe Ihren Kaffee, Tim. Falls Sie Hunger haben, bitten Sie Kate, Ihnen die Schokoladenkekse zu holen.«
Tim erhob sich höflich, als Roz das Zimmer verließ und die Tür hinter sich schloss.
»Ich glaube, sie versucht, taktvoll zu sein«, sagte Kate. »Leider hat sie nicht viel Übung darin; vielleicht wirkt es deshalb ein wenig dick aufgetragen.«
»Keine Sorge, ich kann ohnehin nicht mehr lang bleiben«, entgegnete Tim. »Ich muss morgen wirklich sehr früh aufstehen.«
»Hätten Sie nicht Lust auf etwas weniger Langweiliges als Kaffee? Im Schrank steht eine Flasche Single Malt.«
»Ein Gläschen kann sicher nicht schaden«, meinte Tim.
Kate schenkte zwei Gläser Whisky ein, und sie saßen in freundschaftlichem Schweigen nebeneinander, nippten an ihren Drinks und beobachteten die Holzscheite, die im Ofen knisterten. In der friedlichen Atmosphäre konnte Kate fast die ungeklärte Frage vergessen, wer Schuld an Donnas Tod trug. Genau so sollte ein normaler Samstagabend sein. Kate wusste schon gar nicht mehr, wie sich Normalität anfühlte.
»Ihre Mutter deutete an, dass Sie einige sehr unangenehme Erfahrungen gemacht haben, ehe Sie nach Gatt’s Hill kamen«, begann Tim nach einiger Zeit.
»Hat sie das? Sie redet zu viel.«
»Möchten Sie darüber sprechen?«
»In meiner ersten Zeit hier – vor Donnas Tod – konnte ich mich kaum davon befreien. Aber allmählich verblassen die Eindrücke. Es tut zwar immer noch weh, aber nach und nach gewinnt das Heute die Oberhand über das Gestern, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Sie haben das Gefühl, dass das Leben weitergeht.«
»So kann man es auch ausdrücken.«
»Manchmal wirken Sie sehr abweisend«, sagte Tim. »Es ist nicht leicht, mit Ihnen über persönliche Dinge zu sprechen.«
»Ich weiß. Aber so bin ich nun einmal.«
»Vielleicht könnte ich ihnen dabei helfen, dagegen anzukämpfen.«
»Nein, danke.«
Sie tranken ihren Whisky in kleinen Schlucken und verfielen wieder in Schweigen.
»Nun gut«, sagte Kate schließlich, »es ist so, dass ich in den letzten zwei, drei Jahren immer wieder in recht unangenehme Vorfälle verwickelt wurde. Da war zum Beispiel die Frau in meiner Lauf-Gruppe, die ermordet wurde. Oder Liam, den ich … wissen Sie, ich war der Meinung, dass wir eine ernsthafte Beziehung hätten, doch dann musste ich feststellen, dass er schon jahrelang ein Verhältnis zu einer anderen Frau hatte. Auch diese Frau starb eines unnatürlichen Todes, Und dann die Sache mit Andrew. Er war mein bester Freund. Er ging mit mir essen, wenn ich Hunger hatte, führte mich in die Weinstube, wenn mir nach Gesellschaft war, und besorgte mir einen Job, wenn ich knapp bei Kasse war. Er war einfach immer für mich da. Und plötzlich war er tot. Vor etwa vier Monaten. Er wurde im Flur meines Hauses in
Weitere Kostenlose Bücher