Flucht aus Oxford
Sinn.« Tony lächelte. »Möchtest du noch einen Drink?«
»Gern. Danke.«
Einige Minuten lang saßen sie einander in freundschaftlichem Schweigen gegenüber und genossen ihren Whisky.
»Und dann gab es da noch die Kabarettvorstellung beim Ball der Universität«, fuhr Tony fort, als hätte er die ganze Zeit an nichts anderes gedacht.
»Die hatte ich völlig vergessen.«
»Niemand, der das gesehen hat, wird es je im Leben vergessen.«
»Die Schauspielerei hat mir immer Freude gemacht.«
»In Frauenkleidern?«
»Es war doch nur zum Spaß. Und obendrein amateurhaft. Wie Studenten eben so sind.«
»Dafür hast du aber ausgezeichnet gesungen und getanzt. Und warst du nicht auch derjenige, der aus Jux und Tollerei mit dem Fallschirm im Professorengarten gelandet ist?«
»Du erinnerst dich anscheinend an alle meine Jugendsünden.«
»Du hast uns alle tief beeindruckt, Tim. Ganz zu schweigen von dem tiefen Eindruck, den du auf dem Rasen hinterlassen hast. Musstest du eigentlich dafür bezahlen?«
»Das hat glücklicherweise die Versicherung übernommen.«
»Na ja, jedenfalls bin ich gespannt auf das Gemeindefest im kommenden Jahr. Sicher wird es sehr originell, um nicht zu sagen lebhaft zugehen.«
»Du hingegen warst ein arbeitsamer, ruhiger Student, nicht wahr?« Tim hatte sich endlich entschlossen, Kontra zu geben. »Ich nehme an, du hast damals an eine akademische Laufbahn gedacht.«
»Im Gegensatz zu dir war ich bestimmt ein eher langweiliger Zeitgenosse. Mich interessiert eigentlich nur, wie es kam, dass du dich so verändert hast. War es eine plötzliche Offenbarung? Das Licht auf der Straße nach Damaskus? Oder war dir schon immer insgeheim nach Weihrauch und Soutane?«
»Das hört sich an, als hieltest du mich für einen Spinner. Bin ich aber nicht. Außerdem wollte ich etwas für die Gesellschaft tun. Ist das so falsch?«
»Absolut nicht. Nimm es mir nicht übel, Tim, ich wollte dich nur ein bisschen necken. Ich bewundere, was du tust – ganz ehrlich. Und jetzt erzähl weiter. Du wolltest mir erklären, wie es zu deiner Berufswahl kam.«
Tim ließ sich erweichen. »Nach dem Studium nahm ich einen Job bei einer juristischen Beratungsstelle in der Innenstadt an. Was ich dort erlebt habe, ließ mich sehr nachdenklich werden und stellte mich erneut vor die Frage, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Mir schien, es müsste auch noch andere Wege geben, Menschen zu helfen.«
»Sehr verdienstvoll. Damit war es dann vorbei mit dem Bungee-Springen.«
»Dass ich heiligen Gesetzen gehorche, bedeutet noch lange nicht, dass ich keinen Spaß am Leben habe«, erwiderte Tim verstimmt.
»Oh, den hast du bestimmt«, sagte Tony.
»Los, ihr beiden«, rief Hazel. »Es wird Zeit, dass ihr euch um die Damen kümmert. Worüber habt ihr euch denn die ganze Zeit so angeregt unterhalten?«
»Über gemeinsame Bekannte und alte Erinnerungen«, antwortete Tony.
»Wir waren nur zwei Semester auseinander«, sagte Tim.
Wie langweilig , dachte Kate.
»Jedenfalls hat Tim die Uni während seiner Studentenzeit ganz schön aufgemischt«, fuhr Tony fort. »Hast du Kate von deinen Großtaten erzählt, Tim? Sie wäre bestimmt hingerissen von deinem Bungee-Jumping, dem Fallschirmspringen und dem …«
»Das ist alles lange her«, sagte Tim.
»Haben Sie das wirklich gemacht?«, fragte Kate.
»Wirklich und wahrhaftig«, bestätigte Tony. »Angeblich war er der lebhafteste Student seines Jahrgangs.«
»Darüber möchte ich unbedingt mehr hören«, sagte Kate nachdenklich. Plötzlich sah sie den Pfarrer in einem ganz anderen Licht.
»Ich wollte Sie übrigens fragen, ob Sie und Tim Lust hätten, als meine Gäste am Dinner in meinem College teilzunehmen?«, plauderte Tony weiter. »Bei uns findet kommende Woche ein Gästeabend statt.«
Kate warf Tim einen fragenden Blick zu. Wollten sie wirklich als Paar auftreten?
»Das wäre sehr nett«, antwortete Tim. »Was halten Sie davon, Kate?«
»Mir würde es auch Spaß machen«, bestätigte sie. Erst viel später fiel ihr auf, dass sie eine Einladung in ein Oxforder College angenommen hatte, ohne an die vergangene Tragödie zu denken. Vielleicht taten ihr die Detektivarbeit und das Rätselraten um Donnas geheimnisvollen Tod ja tatsächlich gut. Sie wünschte nur, sie hätte mehr über die Fullers in Erfahrung bringen können. Das Thema Donna war überhaupt nicht angeschnitten worden, und sie wagte zu bezweifeln, dass die soeben erhaltene Lektion über An- und Verkauf von
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