Flucht nach Colorado
verletzt. Doch als er versuchte, aufzustehen, knickte das rechte Bein unter ihm weg, und mit einem Schmerzensschrei fiel er wieder hin. „Mein Bein!"
„Könnte gebrochen sein", sagte sie ohne eine Spur von Mitgefühl.
Ächzend richtete er sich wieder ein wenig auf und lehnte sich an einen Felsen. Er begann zu fluchen und schließlich zu wimmern. Unbeholfen öffnete er seine Gürtelschnalle.
„Was machen Sie da?" fragte Emily.
„Ich ziehe diesen verdammten Gürtel aus. An dem hängen mindestens zwanzig Sachen, die mir in den Rücken stechen."
„Haben Sie ein Walkie-Talkie? Dann können wir einen Hubschrauber rufen, der Sie hier rausholt."
„In meinem Auto. Das habe ich oben auf dem Mammoth Rock geparkt."
Er zerrte den Gürtel herunter und legte Pistolenhalfter, Handschellen, Pfefferspray und allerlei andere Ausrüstungsgegenstände so neben sich, dass er sie in Griffweite hatte. Dann jammerte er: „Geben Sie mir was gegen die Schmerzen. Ich halte das nicht aus."
Sie durchwühlte ihre Tasche und brachte Schmerztabletten zum Vorschein, die sie ihm zusammen mit ihrer Wasserflasche reichte.
„Etwas anderes haben Sie nicht?"
„Nein", sagte sie.
„Dann bin ich ja besser ausgestattet als Sie, Krankenschwesterlein." Er zog ein bernsteinfarbenes Röhrchen aus der Hosentasche. Schroff erklärte er: „Chronische Kopfschmerzen."
„Welche Dosis?"
„Eine pro Tag", sagte er.
„Ed, ich glaube nicht, dass Sie ..."
„Schön für Sie." Bevor sie ihn hindern konnte, schluckte er vier Pillen und schleuderte dann die Wasserflasche zur Seite. Das kostbare Wasser versickerte im Kiesboden.
Wütend nahm sie die Wasserflache an sich und schraubte den Verschluss zu. Die schlimmsten Patienten waren immer die, die es eigentlich von Berufs wegen besser wissen müssten. Im Fall Ed Collins jedenfalls stimmte es. Sie hoffte, dass seine Tabletten ihn ruhig stellen oder vielleicht sogar einschlafen lassen würden. Schnell untersuchte sie seine Kopfwunde, bevor sie sich um die viel schmerzhaftere Beinverletzung kümmerte.
„Das auf Ihrer Stirn ist eine leichte Platzwunde", sagte sie und tupfte Desinfektionsmittel darauf. „Aber Sie werden eine Beule bekommen."
„Erzählen Sie mir was, was ich noch nicht weiß." Er starrte sie verärgert an, völlig wach und klar. Falls er eine Gehirnerschütterung abbekommen hatte, so konnte sie nicht schlimm sein. „Verdammt noch mal, ich hätte den Mistkerl erwischen müssen. Ich hatte freie Sicht."
„Also erst mal schießen und später Fragen stellen?"
„So lauteten meine Befehle." Er zuckte zusammen, als sie ein steriles Pflaster auf seine Stirn klebte. „Ich habe auf seine Beine gezielt. Und deswegen habe ich ihn auch nicht getroffen. Ich hätte direkt auf sein Herz zielen sollen."
Dem Himmel sei Dank für seine lausigen Schießkünste. „Wissen Sie, Ed, ich hätte nie geglaubt, dass so das übliche Vorgehen der Polizei aussieht. Sollten Sie einem Flüchtenden nicht zuerst die Chance einräumen, sich zu ergeben? Ganz besonders, wenn auch noch eine Geisel im Spiel ist?"
„Wie zum Teufel hätte ich wissen sollen, dass Sie seine Geisel sind? Sie hätten ihm genauso gut bei der Flucht helfen können."
Emily fühlte sich schuldbewusst. Sie hatte nicht das Recht, Ed wegen seines Benehmens Vorwürfe zu machen. Nicht, nachdem sie sich mit Jordan verbündet hatte. Trotzdem sagte sie:
„Aus dem Hinterhalt zu schießen scheint mir einfach nicht richtig zu sein."
„Der Typ ist ein kaltblütiger Mörder. Man sollte ihm am besten einen Kopfschuss verpassen." Er atmete langsam aus. Seine Pillen begannen Wirkung zu zeigen. „Davon abgesehen könnte ich das Geld gut brauchen."
„Was denn für Geld, Ed?"
„Das Kopfgeld. Zehntausend Dollar."
Selbst im Wilden Westen von Colorado setzte der Sheriff kein Kopfgeld aus. Das war ein Anhaltspunkt. Und zwar kein unwichtiger. Emily hatte sich die ganze Zeit gefragt, wie Jordan, ein Hochsicherheitshäftling, so einfach hatte fliehen können. War sein Entkommen vielleicht arrangiert, womöglich sogar von den Behörden begünstigt worden? War der Plan gewesen, ihn auf der Flucht zu erschießen?
Das würde bedeuten, dass ihn jemand hereingelegt hatte. Und wenn das stimmte, hieß es, dass er unschuldig war. Sie versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen. „Wer hat die Belohnung ausgesetzt?"
„Zehntausend Dollar." Seine Augenlider begannen zu flattern. Sein Kiefer fiel herunter.
„Ich mache nur meinen Job."
„Für mich
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