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Flucht vor den Desperados

Flucht vor den Desperados

Titel: Flucht vor den Desperados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Lawrence
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mir Liebe und Erbarmen entgegenbringen sollten. Sie waren wirklich gut zu mir. Wir zogen an einen Ort in der Nähe von Salt Lake City, wo Pa versuchte, für die Mormonen zu predigen. Ma brachte mir das Lesen und Schreiben bei, und Pa unterrichtete mich in der Heiligen Schrift. Vor einem halben Jahr baten die Mormonen Pa weiterzuziehen. Etwa zur selben Zeit sagte ihm Gott, der Herr, er solle eine Stadt namens Temperance im Comstock-Gebiet gründen und dort eine Oase der Frömmigkeit in der Wüste der Sünde schaffen. Wir kamen im Frühling hier an, und jetzt ist er tot, und ich glaube nicht, dass die Stadt Temperance ohne ihn noch lange weiterbestehen wird.« Ich starrte auf den Boden. »Pa sagte immer, Virginia City sei der Spielplatz des Satans. Und jetzt hat Virginia City ihn getötet.«
    Sam Clemens schüttelte langsam den Kopf. »Zwei Elternteile zu verlieren ist eine Tragödie«, sagte er. »Aber verliert man gleich vier, zeugt das wirklich von Gedankenlosigkeit.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Er schaute mich mit schmalen Augen an. Das wardas vierte Mal, dass er mir Ausdruck Nr. 5 gezeigt hatte. »Weißt du«, sagte er, »es macht einen schon etwas unsicher, wenn man jemanden, der angeblich ein süßes, kleines Mädchen ist, über solche Dinge ganz ohne sichtbares Gefühl sprechen hört. Ich bin mir nicht wirklich im Klaren, ob ich dir vertraue.«
    Ich sagte: »Das ist mein Stachel.«
    Er paffte eine Weile an seiner Pfeife. Dann sagte er: »Du bist ein seltsames Geschöpf, P. K.«
    Ohne ein weiteres Wort stand er auf, griff in seine Hosentasche & zog einen kleinen Revolver hervor.

KONTOBUCHBLATT 18

    Als Sam Clemens seinen kleinen Revolver zog, schlüpfte ich unter den schweren Holztisch, so schnell wie eine geölte Schlange in ein Rattenloch.
    »Komm wieder hoch, P. K.«, sagte Sam Clemens. »Ich will dir nichts tun. Im Gegenteil, ich will dir einen Gefallen erweisen.«
    Ich hob meinen Kopf über den Tisch.
    »Ich glaube nicht an Gewalt«, sagte er. »Ich habe erst einmal in meinem Leben auf einen Mann geschossen, und zwar in den ersten Tagen dieses Krieges zwischen den Staaten, in den wir jetzt verwickelt sind. Ich weiß nicht, ob es meine Kugel war, die ihn erledigt hat, aber es ist mir durch und durch gegangen. Das ist einer der Gründe, warum ich in den Westen gekommen bin: um dem Gemetzel dieses verfluchten Krieges zu entkommen. Nichtsdestoweniger werde ich dir etwas geben, das dir vielleicht das Leben retten kann. Hier. Nimm ihn.« Sam Clemens hielt mir den Revolver entgegen – mit dem Griff zuerst.
    Kleinlaut stand ich auf und nahm die Waffe. Sie warnicht groß – der Lauf war nur etwa zehn Zentimeter lang –, aber dafür war sie schwer. Sie hatte einen Griff aus Walnussholz & fühlte sich in meiner Hand ganz selbstverständlich an.
    Sam Clemens sagte: »Das ist eine siebenschüssige Smith & Wesson Nummer 1.«
    »Von denen hab ich schon gehört«, sagte ich. »Die Kugel und das Pulver und das Zündhütchen befinden sich alle in einer Patronenhülse.«
    »Das stimmt«, sagte er. »Manche Leute nennen sie Randfeuerpatronen. Diese kleine Waffe ist das Neueste. Du musst sie nur entsichern & abfeuern.«
    »Wo ist der Abzug?«
    »Man nennt das einen Sporenabzug. Wenn du den Revolver entsicherst, kommt der Abzug hervor.«
    Ich drehte das Magazin wieder herum, nahm den Zylinder heraus & sah, dass er mit sieben dieser neuen Randfeuerpatronen geladen war. Ich entlud den Revolver, tat den Zylinder zurück, drehte das Magazin & spannte den Hahn. Tatsächlich kam ein kleiner Abzug zum Vorschein. Ich probierte es ein paar Mal, zog den Hahn und hörte, wie es klickte. Es war merkwürdig, funktionierte aber gut.
    »Raffiniert, oder?«, sagte Sam Clemens. Er zog einige Ersatzpatronen aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch.
    Ich wusste, dass meine Pflegeeltern das nicht gutgeheißen hätten. Meine indianische Ma aber schon. Sie hatte mir beigebracht, wie man mit einem Gewehr & einem Revolver schießt. Ich vermutete, auch mein Detektiv-Pa wäre erfreut gewesen.
    Als ich einige Patronen ins Magazin steckte, fragte ich: »Kaliber .22?«
    »Das stimmt«, sagte er. »Die Kugel hat bloß die Größe eines homöopathischen Kügelchens, und man braucht alle sieben, um einen ausgewachsenen Mann zu erledigen.«
    Ich wusste nicht, was ein homöopathisches Kügelchen war, aber eine Kugel vom Kaliber .22 ist so in etwa die kleinste, die man bekommen kann.
    »Das andere Problem«, erklärte Sam Clemens,

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