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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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aus«, sagte Christian.
    Karl Brommel war Elsässer, ein kompakter Mann, auf dessen stromlinienförmigem Körper ohne sichtbare Vermittlung des Halses ein breiter Katerkopf saß. Schlitzförmige Augen, ein kurzer, schlitzförmiger Mund. Er war vor fünfzehn Jahren in Berlin geblieben, weil er bei einer DDR-Exkursion französischer Journalisten ein Mädchen kennengelernt hatte, bei dem er bleiben wollte. Sie war damals Anfang Zwanzig, er war über Dreißig. So alt ist sie nicht geworden, sie starb mit achtundzwanzig Jahren an einem Nierenleiden. Sie hieß Brunhilde, wurde Bunni gerufen und war die Schwester jenes erfolgreichen Jazzpianisten Hartmut, um den Josefa auf ihrer Abschlußfeier geweint hatte.
    Außer seiner Stadtwohnung in einem Neubauviertel besaß Brommel ein Landhaus, das sich rustikal gab und jeden Komfort bot. Selbst eine Sauna hatte Brommel einbauen lassen, die, wie er gern erzählte, von den Bewohnern des Dorfes, in dem Brommels Haus stand, intensiv benutzt wurde. Dafür bekam Brommel im Frühjahr hausgeschlachtete Wurst, im Sommer jede Art von Obst und Gemüse, die in seinem Dorf wuchs, im Herbst die schönsten Steinpilze und zu Weihnachten eine echte, individuell gemästete Gans. Brommel brauchte sein Haus, um darin zu arbeiten. An den Wochenenden fuhr er oft in die Stadt, besuchte Freunde, ging ins Theater, erledigte Dienstliches. In der Woche arbeitete Brommel wie ein Ochse im Joch, aber mit Freude, sagte Brommel. Er war Korrespondent einer französischen Zeitung. Vor allem aber schrieb Brommel Bücher. Bücher über andere Länder, in die Brommel fuhr und hinterher aufschrieb, was er dort erlebt und gesehen hatte. Solche Bücher waren sehr gefragt, und da Brommel Franzose war, hatte er schon Bücher über Frankreich, Afrika und Indien geschrieben, über Frankreich sogar drei.
    Brommel freute sich, als sie kamen. Bei dem Wetter hätte er selten Besuch, sagte er, setzte Teewasser auf und legte Steaks auf den Grill, Steaks hatte Brommel immer vorrätig. Er setzte sich an den Tisch, kniff die Augen zu Ritzen zusammen und fragte Christian: »Wie geht’s, du?« Sein schmaler Mund formte sich beim Sprechen zu einer kleinen runden Öffnung, und es war verwunderlich, daß Brommel damit artikulieren konnte. Diesmal rauchte Brommel Pfeife. Josefa erinnerte sich, ihn schon als Zigarettenraucher, als Zigarrenraucher und als Nichtraucher erlebt zu haben. Brommel rauchte überzeugend. Zu welchen Rauchern er auch gerade gehörte, er ließ keinen Zweifel daran, daß er diese Art jeweils für die einzig mögliche hielt.
    Josefas Anwesenheit schien Brommel nicht zu interessieren, nicht zu freuen, nicht zu ärgern. Er ignorierte sie. Josefa lehnte sich zurück, starrte vor sich hin, roch das rohe Holz, aus dem das Mobiliar gezimmert war. Tische und Bänke aus ungebeiztem Holz. Der Heizofen summte leise. Heizöfen von Braun summen leise. Sie trank von dem Tee, den Brommel ihr eingegossen hatte. Earl Grey, registrierte sie, keinen Tee trank sie lieber als Earl Grey. Brommel lobte Christian für seinen letzten Aufsatz in einer Philosophiezeitschrift. Josefa kannte den Aufsatz nicht, sie hörte nicht weiter zu.
    Durch ihre Kopfhaut rieselte warmer Strom, ihr Kiefer hatte den Drang, nach unten zu klappen. Sie stützte den Kopf in die Hände, weil sie ihr Gesicht nicht anders in den Formen halten konnte. Zwischen Brommel und ihr flackerte die Kerze, durch die Brommel aussah wie ein dicker Faun, der auf einer unsichtbaren Flöte blies. Josefa beobachtete ihn durch die zuckende Flamme. Brommel badete genüßlich in dem Wohlwollen, das er über Christian ergoß. Er gehört zu den Leuten, dachte Josefa, die ihr Lob verleihen wie einen Orden.
    Später sagte Brommel, sie wollten noch ein Stück über die Dorfstraße gehen. Josefa wäre lieber im Warmen geblieben, aber sie wurde überstimmt.
    Es war totenstill im Dorf. Kein Köter kläffte. Nichts war zu hören als die Schritte der drei Menschen, die schweigend die Dorfstraße abschritten. Die Häuser rechts und links der Straße duckten sich unter der Finsternis.
    Josefa atmete tief, und die frostige Luft fuhr ihr scharf durch Nase und Hals. Der Himmel schien ihr höher, die Sterne näher, die Kälte friedlicher. Brommel hustete. Der Husten hallte über das Dorf wie ein Donner. Dann war es wieder still. Wir sind die letzten Menschen auf der Welt, Christian, ich und Brommel. Die anderen sind tot, weg wie Bunni. Wir werden auch bald sterben. Dann bleibt es still auf der Erde.

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