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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Möglicherweise war er der gemeingefährliche Geistesgestörte, als den De Ville ihn so gerne hinstellen wollte, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte, diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen. Aber dieser vielleicht zwanzigjährige junge Mann? Sie versuchte zu erraten, wie sein Leben aussah, und es fiel ihr nicht besonders schwer: ein mittlerer Schulabschluss, eine halbwegs geregelte Jugend, die ihn vor größeren Konflikten mit dem Gesetz bewahrt hatte, und eine Ausbildung im unteren Polizeidienst … vielleicht eine Familie, möglicherweise schon das erste Kind und die Aussicht auf eine langsame, aber stetige Karriere, in zehn oder zwölf Jahren ein kleines Reihenhaus mit einem handtuchgroßen Garten und einer Garage für den geleasten Mittelklassewagen – nicht unbedingt das Leben, das er sich erträumt hatte, aber doch eine Zukunft, die man nicht so einfach wegwarf. Seine Drohung, zuerst den Piloten, dann sie und am Schluss sich umzubringen, war bitter ernst gewesen.
    Es vergingen gut fünf Minuten, bis De Ville zurückkehrte, und Rachel erlebte eine Überraschung. Er kam nicht allein. In seiner Begleitung befanden sich zwei weitere Polizeibeamte, die einen mit Handschellen gefesselten und ziemlich mitgenommen aussehenden Benedikt zwischen sich führten – er humpelte sichtbar und seine rechte Wange war gerötet und angeschwollen; spätestens in zwei oder drei Stunden würde er ein wunderschönes blaues Auge haben –, sowie ein mittelgroßer, stämmig gebauter Mann in einem schmutzigen Trenchcoat, dessen rechter Ärmel lose herunterschlabberte, weil er den Arm nicht darin, sondern darunter in einer Schlinge trug: Naubach.
    Rachel sah erschrocken zu ihrem Entführer hinüber, der aber keinerlei Reaktion zeigte, und versuchte dann De Villes Blick zu fixieren, aber er wich ihr aus und starrte mit finsterem Gesichtsausdruck auf einen imaginären Punkt irgendwo zwischen ihr und der Kabinendecke. Er kletterte umständlich und schwer schnaufend in die Maschine, ließ sich auf den gleichen Sitz neben Rachel fallen, auf dem er auch vorher gesessen hatte, und sah wortlos zu, wie die beiden Beamten ihren Gefangenen grob hereinbugsierten. Rachel war jetzt sicher, dass Benedikt deutlich mehr Widerstand geleistet hatte, als De Ville sie hatte glauben machen wollen. Selbst die kleine Mühe, in den Hubschrauber zu klettern, schien seine Kräfte zu übersteigen. Er schaffte es zwar, fiel aber auf ein Knie herab und konnte nur noch mit Mühe einen Schmerzensschrei unterdrücken. De Ville musste ihm helfen, sich hochzustemmen und neben ihrem Entführer Platz zu nehmen.
    Als Letzter kletterte Kommissar Naubach zu ihnen herein. Ihr Entführer nahm es ohne Kommentar, aber mit gerunzelter Stirn zur Kenntnis und De Ville sagte laut, und zwar an Naubach gewandt, aber an die Adresse des Kidnappers gerichtet: »Ich bin immer noch dagegen! Sie haben nicht die Befugnis –«
    »Im Moment ist das mein Gefangener«, unterbrach ihn Naubach zornig. Wie auch De Ville musste er schreien, um sich über den Motorenlärm überhaupt verständlich zu machen, aber Rachel war ziemlich sicher, dass er es sowieso getan hätte. »Sie können sich meinetwegen später bei Ihren oder bei meinen Vorgesetzten oder von mir aus auch beim Papst beschweren, aber dieser Mann geht nirgendwo hin, ohne dass ich ihn begleite.« Er deutete wütend auf Benedikt, warf dem jungen Polizeibeamten auf dem Sitz neben ihm einen kurzen, stirnrunzelnden Blick zu, und lenkte seinen Groll dann wieder auf De Ville. »Und verlassen Sie sich darauf: Wenn Sie es nicht tun, werde ich es tun. Allmählich wird das Ganze hier zu einem Affentheater.«
    »Schließen Sie bitte die Tür«, sagte De Ville.
    Einer der beiden Polizisten, die Darkov begleitet hatten, wollte zu ihnen hereinklettern, aber De Ville schüttelte heftig den Kopf. »Das ist nicht nötig.«
    Der Mann überzeugte sich mit einem fragenden Blick in Naubachs Richtung davon, dass diese Aussage ihre Richtigkeit hatte, dann zuckte er mit den Schultern und ging, und Naubach knallte die Tür mit einem wütenden Ruck zu und setzte sich auf den letzten freien Platz neben Darkov. Er schüttelte unentwegt den Kopf, als könne er nicht fassen, was hier vor sich ging – vermutlich konnte er es wirklich nicht –, warf De Ville einen ärgerlichen Blick zu und wandte sich dann an Rachel: »Ich hätte Sie lieber unter anderen Umständen wieder gesehen. Aber trotzdem: Wie geht es Ihnen?«
    »Nicht so gut wie Ihnen«,

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