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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
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kam das Großvaterspiel, das insgesamt wohl kaum drei Jahre gedauert hatte, zu seinem Ende.
    Wir saßen im Wintergarten. Wie immer trug er seinen grünen Strickjanker mit den Zinnknöpfen und eine weite, gerade geschnittene Hose aus grauem Flanell. Großmutter, die natürlich wusste, was hinter ihrem Rücken gespielt wurde, hatte sich zurückgezogen. Und dann verschoss mein Großvatersein Pulver bis aufs letzte Korn. Obwohl ich selten jemanden so atemberaubend erzählen gehört habe, kann ich mich an den Verlauf der Geschichte nicht mehr erinnern. Nur noch einige aus dem Zusammenhang gerissene Details stehen mir vor Augen. Namenlose Männer müssen sich den Schrei abtrainieren, wenn ihnen eine Nadel durch die Hand gebohrt wird. Unerträglicher Latrinengestank. Früher Frost. Berge von Erde, die sich eben noch da befanden, wo jetzt ein Tunnel ist, und im Lager verteilt werden müssen. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob es in meiner Erinnerung wirklich SS-Offiziere sind, die aus einem US-Lager, oder nicht doch US-Offiziere, die aus einem SS-Lager ausbrechen. Jedenfalls hat Großvater auf der Flucht plötzlich Haare. Sie sind blond, seine Augen stahlblau. Er sieht aus wie Steve McQueen.
    Einige Jahre später trug Großvater immer noch den grünen Janker und die graue Flanellhose. Aber den Wintergarten verließ er nur noch zum Schlafen und Essen. Von hier hatte man den besten Blick auf die Weser. Gefesselt an einen Rollstuhl hatte er an der nordwestlichen Grenze Bremens Posten bezogen und starrte hinüber nach Niedersachsen. Auf meine Begrüßung reagierte er nicht.
    »Siehst du sie?«, fragte er nach einer Weile.
    »Wen soll ich sehen?«
    Er guckte mich verstohlen an, dann flüsterte er: »Soldaten.«
    »Wo denn?«
    »Am anderen Ufer.«
    »Großvater, da ist niemand. Das bildest du dir ein.«
    »Jaaaa«, sagte er, so gedehnt wie früher, wenn er, statt zu widersprechen, ironisch zugestimmt oder die Antwort auf eine Kinderfrage größer gemacht hatte, als sie war. Doch jetztklang es verbittert. »Das behauptet ihr alle, weil ihr mich beruhigen wollt. Aber ich beobachte sie schon lange. Sie sind gerade wieder in Deckung gegangen.«
    Er starrte erneut aus dem Fenster. Sein Schweigen war jetzt trotzig.
    »Aber warum sollten denn da Soldaten sein?«
    »Sie sind gekommen, mich zu holen«, sagte er tonlos.
    Bald darauf kam ein Zivi.
    Dann internierte ihn der Tod.
    Auch Martins Feinde hatten sich von der Weser her genähert. Auch sie waren für alle anderen unsichtbar gewesen. Alle außer Kato.
    Im Obstgarten steht ein alter Schuppen. Hier haben sich die beiden Cousins ein allseits bekanntes Geheimversteck eingerichtet. In der Mitte des kleinen Raums decken einige Bretter einen »Keller« ab, in dem nach jedem Uferstreifzug das frische Strandgut untergebracht wird. In selbstgezimmerten Regalen steht aus Weserschlick getöpfertes Geschirr, das der großmütterliche Ofen hart gebrannt hat. Die Wände sind mit Tapetenresten bezogen, eine mit feinen Mustern verzierte Gardine aus Seidenpapier schützt das Idyll vor neugierigen Blicken. Aber man ist nicht naiv. Natürlich ist die florierende Handelsfaktorei, in der vorbeikommende Familienmitglieder für 1 Pfennig das Stück geteerte Korksteine kaufen können, höchst bedroht. Jederzeit können Wilde am Ufer landen, von den Schlachtschiffen feindlicher Mächte ganz zu schweigen. Für den Notfall ist daher auf der nahegelegenen Steintreppe eine schwere Batteriestellung errichtet worden. Und auch das Unterseeboot im vorgelagerten Sandkasten dreht seine Wachrunden, sooft es eben geht. Gerade mal zwei Mann Besatzungbietet der schmale, mit Brettern ausgelegte Schacht Platz, es ist dunkel hier, nur von oben fällt durch eine kleine Glasscheibe gedämpftes Licht. Mit dem Periskop, einem abgewinkelten Papprohr, an dessen Ende ein Spiegelpaar angebracht ist, sucht Kapitänleutnant Kato den Horizont unermüdlich nach Feindbewegungen ab, während Martin, der Maschinenmaat, zur Sicherheit noch einmal die Torpedos nachfettet.
    Der eine der beiden Brüder steht mir näher, der andere ist mir lieber. Das ist offensichtlich. Doch welchem Element fühle ich mich verbunden? Dem des Wasserbetrachters oder dem des Erdaufwühlers?
    Meine halbe Jugend verbrachte ich auf Wanderungen durch halb Europa; aber mindestens ebenso lieb wie das Wandern ist mir immer das Schwimmen gewesen, am liebsten in strömungsstarken Flüssen oder in der Meeresbrandung. Als ich nach der Schule meinen Aufenthaltsort erstmals

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