Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Leo
Vom Netzwerk:
Jugend aber konnte er nicht existieren. Also musste er sich darin üben, die Dinge spannend zu machen. Zu dosieren. Spuren zu legen: zwei, drei Ostereier so auffällig im Moos blitzen zu lassen, dass sie ins Freie lockten, und den Rest in den Höhlen der Waldgeister zu verbergen.Am Heiligabend das Wohnzimmer so früh zu verschließen, dass die Kinder spätabends mit letzter Kraft zur Bescherung krochen. Die Fluchtgeschichte anzukündigen, drei Jahre bevor er sie erzählte. Es waren nur billige Schokoladeneier, bröselige Buntstifte und rostige Räuberpistolen, aber weil er sie so gekonnt versteckte, schien es viel, viel mehr zu sein. Und auch das graphologische Gutachten verschloss Friedrich ja nicht umsonst in seinem Schreibtisch, um dann ebendies mitzuteilen. Es hatte keinen anderen Zweck, als einen Jüngeren an ihn zu binden. Nur dass der Junge kein Kind mehr war und der Ernst des Lebens bereits seinen Schatten auf ihn warf.
    Den ernsthaften Umgang mit jungen Männern musste Friedrich nicht mehr lernen. Schon bei der SS hatte er sein pädagogisches Talent hinlänglich bewiesen. Wäre er nicht so verdammt widerspenstig gewesen, er hätte wohl mehr unterrichten können als nur angewandten Rassenschwachsinn. Bestimmt wäre aus ihm ein guter Lehrer geworden. Aber vielleicht wollte er das gar nicht. Denn seinen größten Reiz entfaltet das Spiel der Erziehung nun mal außerhalb der Institutionen. Im Freien. Am Feuer. Im Zeltlager. In der Waldschule. Auf Wanderungen. Bei Lehrgängen. Was reizte ihn an diesem Spiel? Worum geht es dabei? Es geht um Nahbarkeit. Um lockende Herablassung. Ein Erwachsener spricht einen Heranwachsenden wie seinesgleichen an, lässt aber ein leichtes Gefälle bestehen, so dass der Jüngere seine tastenden Sätze zum Älteren hinaufschieben muss, während der seine Andeutungen und Ratschläge sanft herunterrollen lassen kann. Je nach Gefügigkeit des Schülers wird der Neigungswinkel erhöht oder gesenkt. Solange der Erzieher sich sicher ist, dass der andere ihn sucht, darf es auch gerne so wirken, als verhieltees sich umgekehrt. Das ist die Kunst des Pädagogen, wer sie beherrscht, kann nicht nur Köpfe füllen, sondern auch Herzen formen und Seelen führen. Man hört es nicht gerne, aber der Nationalsozialismus hat diese Kunst durchaus gefördert. Man nannte das Dritte Reich ja nicht umsonst einen Führerstaat. Denn was ist damit gemeint? Hitler etwa, wie er irgendetwas vor sich hinfaucht, woraufhin Bormann sofort ans Telefon und Goebbels zu seinem Tagebuch stürzt? Das Bild ist zu leicht zu haben, als dass es die ganze Wahrheit enthalten könnte. Es gab ja nicht nur die Faucher und Brüller.
    Man kennt das aus Pennälerfilmen. Der gute Lehrer, der anders ist als die anderen. Zu dem man aufschaut, weil er etwas zu geben hat und gerecht ist. Das Muster dieses Lehrers wurde 1943 in Babelsberg geschaffen. Es heißt Dr. Brett, der Film heißt Die Feuerzangenbowle . Brett, so teilt der Ex-Pennäler Pfeiffer in gemütlicher Runde mit, sei der einzige »feine Kerl« unter seinen Lehrern gewesen. Kein Pauker, sondern ein Mensch. Sein Kollege Professor Bömmel ist zwar ein Trottel, aber letztlich auch ein Mensch, darum kann Brett ihm seine Maximen anvertrauen. Es wäre ja auch traurig , sagt er und legt dem Älteren den Arm um die Schulter, als wäre der sein Schüler, wenn eine neue Zeit nicht auch neue Methoden brächte . Nicht wie die Hunde prügeln, soll das heißen. Aber auch nicht wie die Vögel fliegen lassen. Sondern wie eine Pflanze schnüren. Junge Bäume, die wachsen wollen, muss man anbinden, dass sie schön gerade wachsen – nicht nach allen Seiten ausschlagen. Und genau so ist das mit den jungen Menschen: Disziplin muss die Schnur sein, die sie bindet, zu schönem, geraden Wachstum. Baumschule spielen? Das konnte Friedrich! Vielleicht sogar besser als alles andere.
    Einen Nachlass kann man es kaum nennen, was er da sozu Papier gebracht hat. Doch es reicht, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie wichtig ihm das Baumschulgespräch war. Worin man auch blättert, in Notizen, Tagebüchern oder Durchschlagheften: Kaum ist er selbst erwachsen, wimmelt seine Welt von jungen Menschen, deren Zweige in den Himmel schießen, ohne dass ihre Wurzeln sie schon halten könnten. Die Luftschlösser bauen und die Gesetze des Lebens verkennen. Wer es auch sei, die eigenen Söhne und Töchter, Nichten und Neffen, Kinder von Freunden und Bekannten – einer fürsorgebedürftiger als der andere. Und immer

Weitere Kostenlose Bücher