FOOD CRASH
gehalten, Biotope für seltene Arten geschützt oder tiergerechte Haltungsverfahren eine Chance bekommen, dann müssen dafür
Anreizprogramme
eingeführt werden: Dann bekommt zum Beispiel der Almbauer eine Beweidungsprämie, die ihm die Mühe und die Kosten ausgleicht und für die er bereit ist, zusammen mit seinen Kühen der Landschaftspflege nachzugehen. Oder es wird dem Bauern ein zinsverbilligter Investitionskredit gewährt, der einen besonders tiergerechten Stall baut.
Den Verbraucher ins Boot nehmen
Es muss aber nicht auf den Staat warten, wer etwas Gutes tun will. Ich kann als Bauer eine Leistung erbringen, die über die Erzeugung meiner Produkte hinausgeht, und dafür die Beteiligung der Verbraucher erbitten. Das funktioniert aber nur, wenn die Leistung, die ich erbringe, klar beschrieben und für meine Mitmenschen einleuchtend ist. Und wenn ich für sie so vertrauenswürdig bin, dass sie mir das abnehmen. Wenn ich freilich mit so vielen Kunden zu tun habe, dass sie mich nicht persönlich kennen, oder wenn ich ihnen meine Kartoffeln gar nicht direkt verkaufe, sondern der Kartoffelpufferfabrik oder dem Großhändler – dann muss ein Dritter dazukommen, der das Vertrauensverhältnis herstellt: der
Zertifizierer.
Er formuliert Richtlinien für meine Erzeugung und definiert so die Anforderungen, die ich erfüllen muss, um zertifiziert zu werden. Er organisiert eine Kontrolle, die überprüft, ob ich auch alle Richtlinien einhalte, und er erklärt – meist durch ein Label auf den Produkten – dem Verbraucher, dass das Produkt, das er da aus dem Regal gefischt hat, den Anforderungen entspricht.
Der Ökologische Landbau verfährt nach diesem Prinzip, und er tut es schon seit fast einem Jahrhundert. Lange Jahrzehnte hindurch gab es da den direkten Kontakt zwischen Kunden und Erzeugern, die schon früh die Anforderungen in Richtlinien festgelegt hatten, die sie an sich stellten. Die Kontrolle bestand darin, dass sich Bauern in Gruppen organisierten, die zusammen Besuch auf den einzelnen Höfen machten. Im Fokus stand dann weniger die Vermeidung von Betrug – denn damit brauchte man damals noch nicht zu rechnen. Es ging vielmehr darum, sich gegenseitig zu helfen, den Richtlinien entsprechend zu arbeiten, und mit den Problemen, die sich dabei stellten, fertig zu werden. Erst die Ausweitung des Ökologischen Landbaus in den 1980er Jahren machte es allmählich erforderlich, hier ein System zu erstellen: Auf der einen Seite Betriebsberater, die dabei helfen sollten, es »richtig zu machen«. Auf der anderen Seite Kontrolleure, die jedes Jahr zur Überprüfung der Richtlinienerfüllung auf die Betriebe kamen. Seit die EU im Jahr 1990 den Biolandbau gesetzlich definierte, sind auch die Kontrolleure nicht mehr im Auftrag der Anbauverbände, sondern des Staates auf den Betrieben und werden von staatlichen Behörden überwacht.
Es gibt aber nach wie vor Zertifizierungssysteme, die in privater Trägerschaft liegen – so hat beispielsweise der
Marine Stewardship Council
( MSC ) Richtlinien für eine nachhaltige Nutzung der Meeresfischbestände verfasst und zertifiziert Fischprodukte, die danach gefangen worden sind. Der Naturland-Verband hat am Viktoriasee zusammen mit der deutschen Entwicklungshilfe ein Projekt zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Fischbestände und zum Erhalt der handwerklichen Fischerei ins Leben gerufen und versieht die Produkte, die daraus auf unseren Markt kommen, mit seinem Prüfzeichen. So, wie es gelingt, immer mehr Menschen dazu zu bringen, die Lebensmittelerzeugung aus Ökologischem Landbau durch ihre Kaufentscheidung zu unterstützen, findet auch der Absatz solcher Fischereierzeugnisse zunehmend Absatz.
Von einem weiteren Beispiel will ich berichten, das zwar nichts mit einer besonderen Produktionsweise zu tun hat, das aber zeigt, dass Verbraucher durchaus bereit dazu sind, mit ihrem Kaufverhalten Verantwortung zu übernehmen – wenn man ihnen dafür ein Instrument in die Hand gibt. An der Grenze zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen, im idyllischen Örtchen Willingen-Usseln, gibt es die kleine Upländer Bauernmolkerei mit besonderer Geschichte. Nach einem Jahrhundert als genossenschaftliche Molkerei in Bauernhand, die mit einer Jahresmenge von 180 000 Litern begonnen und in den 1960er Jahren auf 20 Millionen angewachsen war, wurde sie mit einem der großen Milchwerke der Republik fusioniert – und dann geschlossen. Mit Hilfe von Unterstützern aus dem kommunalen Bereich, von
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